Energiekrise bei jedem Zug! Deshalb ist das Schnelligkeits-Training so wichtig
12 Monate Schnelligkeits-Training
Denn schon nach 5 Tagen wird man langsamer
Gibt es den geborenen Sprinter? Die Wissenschaft ist sich einig, dass die Muskelfaserzusammensetzung weitestgehend genetisch festgelegt ist. Zwar ist das Ausmaß der Verteilung an schnell und langsam zuckenden Faser leicht veränderbar, jedoch tatsächlich nur in eingeschränktem Maße. Deshalb sieht man auf kurzen Schwimmstrecken auch völlig andere Bewegungs- und Frequenzmuster als auf den Mittel- und Langstrecken. Und dennoch geht es im Schwimmsport immer auch darum, die individuell optimale Frequenz zu ermitteln. Sie ist ein leistungsbestimmender Faktor und von vielen individuellen Faktoren abhängig.
Gezielter Senden, schneller empfangen, besser umsetzen
Bei der menschlichen Bewegung werden die Extremitäten, die für den Vortrieb verantwortlich sind, über Muskeln und Gelenke bewegt. Die Muskeln setzen sich bei jedem Menschen individuell verschieden zusammen. Die Verteilung von langsam (ST = Slowtwitch) und schnell (FT = Fasttwitch) zuckenden Muskelfasern ist weitestgehend genetisch festgelegt. Die Frequenz, in der die Muskulatur zur Kontraktion gebracht wird, hängt zum einen von der Muskelfaserzusammensetzung ab und zum anderen von der Geschwindigkeit der Nervenleitung. Also der Fähigkeit, einen Bewegungsauftrag in möglichst kurzer Zeit an die richtigen Muskelfasern zu senden. Und auch hier gibt es individuelle Unterschiede, die teilweise durch Training veränderbar sind. Bringen Sie diesen Prozess in Gang!
Willkommener Nebeneffekt
Zyklische Sportarten wie das Schwimmen kennzeichnen sich durch identische Bewegungsmuster (Bewegungszyklen), die sich ständig wiederholen. Allein auf einer 400m-Strecke können Sie mit rund 300 Einzelbewegungen rechnen. Durch jede einzelne Muskelkontraktion und der damit verbundenen Komprimierung der umgebenen Kapillaren erzeugen Sie einen kurzfristigen Engpass in der energetischen Versorgung der betreffenden Muskulatur. Die kurze Reduzierung der Sauerstoffversorgung wird deshalb auch als Energiekrise bezeichnet. Je regelmäßiger Sie diesen Ablauf von hochfrequenter muskulärer Anspannung und Entspannung trainieren desto besser effektiver wird die Energieversorgung der arbeitenden Muskulatur. Ein willkommener Nebeneffekt eines Schnelligkeitstrainings. Stellen Sie sich vor, wie jeder einzelne Zug an Effizienz gewinnen kann – das überträgt sich zwangsläufig auch auf längere Strecken!
Der Wissenschaftler Vladimir Issurin ermittelte, dass die Fähigkeit der Schnelligkeit bereits nach 5 Tagen (+/- 2 Tage) rückgängig ist, wenn sie im Training nicht konserviert oder entwickelt wird. Das sollte aufmerksam machen für eine dauerhafte, ganzjährige Berücksichtigung des Schnelligkeits-Trainings im Rahmen des Trainingsplans.
Das Optimum aus Bewegungsfrequenz und gleichzeitigen Raumgewinn (z.B. Zug- und Schrittlänge) herauszubilden ist dabei eine der wichtigsten Aufgaben im Schwimmen wie im gesamten Ausdauersportbereich. Sportler und Trainer in den Ausdauersportarten verwenden enorm viel Zeit genau damit, die Frequenz so einzustellen, dass der Sportler das ideale Mittel aus Kontraktionsgeschwindigkeit und Streckengewinn erlernt.
Langes Gleiten reduziert das Tempo
Allein das zähflüssige Medium Wasser stellt uns kräftemäßig vor andere Aufgaben als dies bei anderen Ausdauersportarten der Fall ist. Im Schwimmen benötigt man deutlich mehr Kraft, um den eigenen Körper zu beschleunigen. Schließlich besitzt das Wasser eine ca. 800-mal höhere Dichte als Luft. D.h. wer doppelt so schnell schwimmen möchte, müsste theoretisch achtmal soviel Kraft aufwenden. Mehr Fakten zum Thema „Bedeutung der Wasserlage“ > Klick hier.
Zwar ist eine hohe Wasserlage und eine saubere Technik das wichtigste Kriterium. Als Ausdauerschwimmer werden Sie für einen Leistungsfortschritt aber nicht umhin kommen, an Ihren spezifischen Kraftfähigkeiten zu arbeiten. Tun Sie dies nicht, entsteht die Gefahr, dass Sie mit einer sehr niedrigen Frequenz oder technisch unsauber schwimmen und zwischen den Zügen immer wieder an Tempo verlieren. Das führt fast immer zu einer sehr ungleichmäßigen Geschwindigkeitskurve, die Sie selbst aber gar nicht wahrnehmen können. Es ist folgerichtig nicht unbedingt die richtige Aufgabenstellung, die Bahn mit möglichst wenigen Zügen zurückzulegen. Vielmehr sollten Sie versuchen, die interzyklische Geschwindigkeitsschwankung so gering wie möglich zu halten. Nur dann schwimmen Sie ökonomisch und schnell!
Raus aus der Routine
Holen Sie sich deshalb immer wieder, und vor allem ganzjährig, aus der gewohnten Trainingsroutine heraus. Je breiter Ihre Bewegungsmöglichkeiten in Bezug auf das Frequenzverhalten sind, desto ökonomischer und dynamischer wird Ihre Leistung. Das macht nicht nur im Training viel Spaß, sondern ganz besonders im Zielbereich, wenn Sie sich über einen Leistungsfortschritt freuen werden.
Schnelligkeitsübungen mit hoher Frequenz
4x100m – 15m Sprint + 85m lockeres Schwimmen als aktive Pause, Pause: 90-120 Sekunden
4x100m – 25m Sprint mit unterstützenden Schwimmerflossen + 75m lockeres Schwimmen, Pause: 90-120 Sekunden
4x50m / 8x25m – Kraul mit Kurzflossen und ggf. Finger-/Handpaddles, hohes Tempo! Pause: 120 Sekunden
Sprintübungen am flexiblen Zugseil (Aqua Gym): schwimmen mit (!) der Zugkraft (d.h. mit dem Rückzug des Seils oder der Zughilfe eines Partner schwimmen, um „Über-Tempo“ zu erzeugen), um eine höheres Tempo zu erzielen und damit die Frequenz auf ein hohes Maß zu heben, Pause: mindestens 2 Minuten
Zugseil: 4×20 Züge – Trockentraining am Zugseil mit hoher Frequenz, Pause 60 Sekunden
Kurzflossen-Training: Nutzen Sie den Einsatz von Kurflossen gezielt, um auf ein Tempo zu kommen, welches Sie im Normalfall nur schwer oder gar nicht erreichen können. Im Regelfall konzentrieren Sie sich auf kürze Strecken von bis zu 50 Meter Länge.
von Holger Lüning