Training & Wettkampf

Effektives Training: Das Negative-Split-Training

Negative Splits für eine positive Renngestaltung

Eine Methode für bessere Rennen

Negative Split – das klingt im ersten Moment gar nicht so gut. Dabei steckt dahinter sowohl eine wirkungsvolle Rennstrategie wie auch Trainingsform.

Von Holger Lüning

3:53,90 Minuten – 3:56,37 Minuten – 3:53,46 Minuten – 3:51,41 Minuten. Diese 400-Meter-Abschnitte absolvierte Florian Wellbrock bei seinem furiosen 1.500-Meter-Sieg in Glasgow, der ihn 2018 zum neuen Europameister machte. Der Tempoverlauf in den einzelnen Rennsegmenten könnte optimaler nicht sein. Ein schneller aber nicht übertriebener Start, eine anschließende Phase der Konsolidierung, gefolgt von einer taktisch geprägten Erhöhung der Geschwindigkeit bis hin zum Showdown und der finalen Rennphase mit dem Freisetzen der letzte Reserven. Perfekt!

Hinter den nüchternen Zahlen versteckt sich nicht nur eine ausgeklügelte Rennstrategie. Die Abschnitte dokumentieren die Bedeutung einer optimalen Einteilung. Denn nur wenn es gelingt, die leistungsrelevanten Parameter richtig einzuschätzen und einzusetzen, gelingt am Ende das, was sich jeder einmal wünscht: das optimale Rennen zu schwimmen und sich damit die Belohnung für alle Trainingsstrapazen abzuholen.

Renntaktik befolgen statt Chancen vertun

Doch wenn man einmal ehrlich ist, kommt es leider viel zu häufig vor, dass man im Überschwang der Gefühle – Aufregung, Erwartungen und auch Leistungsdruck – ganz anders an das Rennen herangeht, als man es sich eigentlich vorgenommen hat. Nach dem Rennen ist man dann häufig etwas schlauer und muss dennoch realisieren, dass man vielleicht eine große Chance vertan hat.

Renntaktik, auch Pacing genannt, sollte demzufolge auch im Training stets eine tragende Rolle einnehmen. Denn nur, was im Training eingehend geübt und einstudiert wurde, kann schließlich auch im Wettbewerb erfolgreich umgesetzt werden. Eine Trainingsform, die viele positive Effekte vereint, ist das Training mit negative-splits. Hinter diesem Begriff versteckt sich das, was Europameister Florian Wellbrock erfolgreich ins Wasser gebracht hat – das Steigern des Tempos mit zunehmender Renndauer.

Weltrekorde und Zwischenzeiten – Männer, 50m-Bahn:

Männer        Name                        Endzeit                1. + 2. Rennhälfte

400m             Paul Biedermann   3:42,00 Minuten      1:51,02 + 1:50,98 Min.

800m             Zhang Lin                7:32,12 Minuten       3:46,79 + 3:45,33 Min.

1.500m          Sun Yang                 14:31,02 Minuten      7:16,15 + 7:15,87 Min.

Doch was so einfach klingt, ist in der Umsetzung deutlich schwieriger als man annehmen mag. Es geht nicht nur darum, zu Beginn einfach etwas lockerer zu schwimmen, um zum Ende hin beschleunigen zu können. Vielmehr muss die Quintessenz sein, so zu trainieren, dass man auf ein recht hohes Tempo ein noch höheres draufsetzen kann. Sie werden zustimmen: so klingt es schon ganz anders!

Gilt auch für Freiwasser und Triathlon

Was für die Mittel- und Langstreckenschwimmer, dazu können auch Freiwasserschwimmer und Triathleten gezählt werden, das renntaktische Maß aller Dinge ist (Link zu einem weiteren Artikel zum Thema), kann für Sportler der kürzeren Distanzen ein sehr effektives Trainingsmittel sein, um das Endspurtverhalten deutlich zu verbessern. Es lohnt sich also für alle, einmal einen genaueren Blick auf das negative-split-Training zu werfen.

Kern des Trainings ist das Absolvieren einer schnelleren zweiten Hälfte der jeweils gewählten Strecke. Intervallserien für Kurzstreckenschwimmer könnten so aussehen:

Negative-Split-Training für Kurzstreckenschwimmer

8x50m           25m GA2 + 25m Endspurt, Pause: 60-120 Sekunden

8x50m           15m Spurt + 20m GA2 + 15m Endspurt, Pause: 60-90 Sekunden

8x75m           25m GA1 + 25m GA2 + 25m Endspurt, Pause: 60-90 Sekunden

8x100m         50m GA1 + 25m GA2 + 25m Endspurt, Pause: 60-120 Sekunden

Grundsätzlich wird vor der Endbeschleunigung eine moderate Vorbelastung geschaltet, welche die Rennsituation in etwa simulieren soll. Somit wird eine Vorermüdung provoziert, die die anschließende Tempoverschärfung erschweren soll und somit physiologische wie auch psychische Prozesse stimuliert, die das komplexe Rennverhalten verbessern soll.

Die Streckenlänge entscheidet über die Taktik

Die physiologische Komponente im Kurzstreckenbereich ist relativ klar. Sie ist von dem Bemühen bestimmt, das Abfallen der Geschwindigkeit zu begrenzen. Sieht man sich die Zwischenzeiten des 100-Meter-Weltrekords (46,91 Sekunden) von Cesar Cielo (Brasilien) an, so ist der Abfall der ersten 50 Meter (22,17 Sekunden) zum zweiten Rennabschnitt (24,74 Sekunden) deutlich erkennbar. Eine Renntaktik mit schnellerer zweiter Hälfte ist hier undenkbar, da das Anfangstempo, welches aus dem Startsprung generiert wird, eine völlig andere Bedeutung hat. Neben den Sprintfähigkeiten, d.h. dem Erzielen eines maximal hohen Schwimmtempos, ist eine weitere Komponente rennentscheidend. Nämlich die, das Tempo möglichst lange aufrechterhalten zu können. Diese Steherqualitäten gilt es zu entwickeln, um nicht von den Stoffwechselprozessen mit den stetig steigenden Laktatkonzentrationen im Blut überrascht zu werden. Sie werden die Situation kennen, wenn man zum Ende des Rennens, wenn es noch einmal richtig hart, schlicht die Arme nicht mehr durchs Wasser ziehen kann.

Dies ist der Punkt, wo das Training mit punktuellen Tempospitzen auf der zweiten Streckenhälfte, Fähigkeiten verbessern kann, die Ermüdung hinaus zu zögern. Damit werden Sie nicht nur energetisch deutlich effizienter arbeiten. Als weiteres Merkmal wird sich auch der emotionale Zustand verbessern, wenn Sie um einen guten Endspurt wissen und diese Situation selber in der Hand haben. Unterschätzen Sie diesen Aspekt nicht, er könnte rennentscheidend sein.

Im zweiten Teil dieses Artikel geht es um das Overdistance-Training > Klick zum 2.Teil

Unsere Empfehlung für einen effektiven Trainingsplan

Der Trainingsplan #22 beschäftigt sich im Kern mit den Aspekten des Negative-Split-Trainings und gibt konkrete Beispiele. Viel Spaß mit diesem interessanten und abwechslungsreichen Trainingsplan, der die Basis für individuelle Erfolge werden könnte.


(Titelfoto: Michael Lapp, snap-pix.de)