Training & Wettkampf

Eine Frage der Technik: Schnelles Kraulschwimmen

Under Construction: Kraulschwimmen

Das komplexe Konstrukt schnellen und ökonomischen Schwimmens

Training ist ein dauerhafter Prozess und damit ständig in Bewegung. Genauso verhält es sich mit der Schwimmtechnik. Versuchen Sie doch, mit den folgenden Tipps die ein oder andere persönliche Baustelle zu schließen.

Von Holger Lüning

Beginnen wir mit einem kurzen Rückblick. Erinnern Sie sich an das Finale bei der Schwimm-Europameisterschaft 2018 in Glasgow über 1.500 Meter Freistil der Herren? In einem beherzten Rennen gewann Florian Wellbrock die Goldmedaille in der sagenhaften deutschen Rekordzeit von 14:36,15 Minuten. Doch das war nicht alles, denn der damals 20-jährige vom SC Magdeburg hatte dabei keinen geringeren hinter sich gelassen als den amtierenden Olympiasieger und Europarekordhalter Gregorio Paltrinieri aus Italien.

Und schon starteten die Renn-Analysen. Denn plötzlich stellte man erstaunt fest, dass Wellbrock die Bahnen mit ungefähr 30 Zügen durchpflügte, der Italiener hingegen gut 40 Züge für die 50 Meter benötigte. Und noch erstaunter durfte man sein, wenn man sich die Köpergröße der beiden Spitzenschwimmer vor Augen führt. Hier liegt der italienische Olympiasieger mit 191 Zentimetern nämlich gleichauf mit dem neuen Europameister. Wieso verwenden  Spitzenschwimmer, die gleich groß sind und ein mehr oder weniger identisches Trainingspensum absolvieren, solch unterschiedliche Techniken? Ein kausaler Zusammenhang, wie er gerne herangezogen wird, kann demzufolge hier nicht gelten. Wie geht man nun an die Analyse heran? Und noch wichtiger: welche Technik ist denn nun die bessere? Schließlich suchen wir ja gerne nach klaren Empfehlungen. Offenbar gibt es die gar nicht. Und genau aus diesem Grund darf eine technische Empfehlung nie pauschal sein. Denn wie wäre es, wenn Sie als Trainer auf zwei Sportler treffen würden, der eine 170 Zentimeter und der andere 200 Zentimeter groß? Dann wären pauschale Technikmodelle nicht nur kontraindiziert, sie würden damit mindestens einen der beiden Schwimmer völlig falsch trainieren!

Dieses Beispiel zeigt vor allem eins deutlich auf: es gibt keine pauschalen Empfehlungen hinsichtlich der Zugzahl im Schwimmsport! Es gilt, die individuell optimale Technik zu finden, die aber wiederum abhängig von vielen persönlichen Faktoren ist. Die Imitation der Schwimmtechnik von Weltklassesportlern ist demzufolge nicht immer der beste Weg. Oder hätten wir nach Paltrinieries Sieg in Rio die Frequenz hoch- und nach Wellbrocks Sieg nun wieder runternehmen sollen? Natürlich nicht.

Und hier beginnt für viele Schwimmer, besonders natürlich für Seiteneinsteiger, das große Problem. Verbunden mit der Fragestellung: was tun? Aus der Erfahrung heraus, kristallisieren sich in diesem komplexen Konstrukt einige kritische Punkte immer wieder heraus. Sie sorgen nicht selten für Konfusion, wenn unterschiedliche Meinungen vertreten werden. Wir schauen uns einige der prägnanten Themen, die schnell zu persönlichen Baustellen werden können, einmal genauer an und zeigen mögliche Lösungswege auf.

  1. Gleiten: Schwimmen ist wie Radfahren gegen den Wind

Das Gleiten im Schwimmen, eine Phase ohne aktiven Vortrieb, wird oftmals missverstanden. Impliziert der Begriff schnell die Fehlannahme ökonomischen Schwimmens bei optimiertem Energieaufwand, entsteht in der Praxis gar nicht selten genau das Gegenteil. Führen wir uns die Idealsituation hinsichtlich eines effizienten Vortriebs vor Augen, so wird schnell deutlich, dass er vor allem dann zustande kommt, wenn er dauerhaft und ohne Unterbrechung durchgeführt wird. Genauso wie ein Auto an Tempo verliert, wenn Sie den Gang herausnehmen oder das Gas wegnehmen, verliert auch ein Schwimmer sofort an Geschwindigkeit, wenn kein Vortrieb geleistet wird.

Denken Sie an die Widerstandskomponente! Wasser ist um das 800-fache dichter als Luft. Stoßen Sie sich einmal vom Beckenrand ab. Wie weit gleiten Sie? Vielleicht kommen Sie auf zehn Meter, das wäre schon hervorragend. Im Detail betrachtet, verlieren Sie aber sofort nach Verlassen der Füße von der Wand an Tempo. Schwimmen ist so betrachtet wie Radfahren gegen den Wind! Sie werden zu jedem Zeitpunkt abgebremst und müssen ständig dagegen angehen, um nicht langsamer zu werden. Dadurch wird deutlich: Gleiten konserviert Ihre Geschwindigkeit nicht!

Mit weniger Zügen zu schwimmen und lange Gleitphasen zwischen die Züge zu bringen, ist nicht zwangsläufig energiesparend. Sie fahren auch mit dem Rad nicht energiesparend, wenn Sie möglichst wenige Kurbelumdrehungen durchführen. Dann nämlich benötigen Sie für jeden einzelnen Druck auf die Pedale viel Kraft. Technik muss angepasst sein. Diese harte Realität zwingt Sie vielleicht zu einem Überdenken Ihrer bisherigen Strategie. Erhöhen Sie Ihre Zugfrequenz etwas, benötigen Sie für das gleiche Tempo wie mit niedriger Zugzahl, deutlich weniger Kraft pro einzelnen Zug. Das Schwimmen wird damit vergleichsweise weniger kräfteraubend und Sie können mehr Leistung über längere Zeit generieren. Lassen Sie sich dabei nicht verunsichern, wenn Ihre Herzfrequenz dabei etwas höher liegt. Denn Ihr Herz-Kreislauf-System ist weitaus länger leistungsfähig als Ihre Kraftreserven.

  1. 30 oder 40 Züge pro Bahn: Der Balanceakt von Zugzahl und -länge

Bringen Sie Ihre Zugfrequenz auf mindestens 30 Zyklen pro Minute (ist gleich 60 Armzüge links und rechts addiert im Kraulschwimmen), um einen gleichmäßigen Vortrieb zu erzeugen. Diese pauschale Angabe soll Ihnen helfen, zu identifizieren, ob Sie womöglich deutlich zu niedrig liegen. Wie Sie schon erfahren haben, liegen selbst im Spitzenbereich die Werte mitunter in Extrembereichen, dennoch gibt es auch hier eine Art der Normalverteilung, an der man sich gut orientieren und zumindest Empfehlungen definieren kann.

Für eine optimale, und vor allem konstante, Tempoentwicklung geht der Weg deshalb – technische Güte der Bewegung und der Wasserlage vorausgesetzt – zunächst über das ausgewogenes Verhältnis von Zugzahl und -länge. Häufig ist die Schlagfrequenz, besonders bei Seiteneinsteigern, nämlich viel zu niedrig, da sie versuchen, die Zuglänge bis zum Äußersten auszureizen. Oft entstehen überlange Gleitphasen, die das Tempo reduzieren. Testen Sie deshalb verschiedene Varianten und bestimmen Sie immer auch Ihre erzielte Zeit bei diesen Versuchen. Nur so haben sie auch Aussagekraft.

Die Antwort auf die Frage, weshalb es so große Unterschiede bei den Spitzenschwimmern gibt ist dann auch schnell gefunden. Bei dem einen Schwimmer dominiert der kraftvolle Abdruck, bei dem anderen Schwimmer dominiert das weniger kräftige, aber dafür gleichmäßige und höherfrequente Ziehen. Paltrinieri rekrutiert seine Leistung somit tendenziell eher aus dem Herz-Kreislaufsystem, Wellbrock über einen deutlich kraftvolleren Impuls Unterwasser. Beide haben ihre Stärken kultiviert und konsequent entwickelt. Keine Methode ist per se besser als die andere. Am Ende schwimmen beide Athleten mit völlig unterschiedlichen Strategien Weltklassezeiten!

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(Foto: Michael Lapp, snap-pix.de)