Wissenschaft

WISSENSCHAFT: Atemmangel-Training als Höhen-Training?

Atemmangeltraining = simuliertes Höhentraining?

Das Training in Höhenlagen ist im Hochleistungssport ein anerkanntes Mittel im Trainingssystem. Für viele Top-Athleten gehört der Aufenthalt in Höhen ab 1.500 Meter über dem Meeresspiegel fast schon zur periodischen Routine im Trainingsablauf. Ziel dieses Unterfanges ist es, den Gehalt an roten Blutkörperchen zu erhöhen. Da diese, durch den Mangel an Sauerstoff in der Höhe, als Reaktion des Organismus in größeren Mengen produziert werden, soll sich eine Leistungsverbesserung einstellen.

Doch nicht immer funktioniert dieses Vorhaben bei den Sportlern. Und absolute Gewissheit über den Anpassungsvorgang und die individuellen Reaktionen gibt es bis heute nicht. Es bleibt nach wie vor ein Quentchen Unsicherheit, wie das Höhentraining von den einzelnen Athleten verkraftet wird und in welchen zeitlichen Abständen ein solcher Aufenthalt am effektivsten ist.

In der Ebene gibt es verschiedene Versuche, die Effekte des Sauerstoffmangels zu simulieren. Sogenannten Höhenzelte, die durch die Steuerung des Luftdrucks eine ähnliche Situation wie in den Bergen herstellen soll, ist eine der eher kostspieligen Varianten. Im Training hat sich das sogenannte Hypoxie-Training einen Namen gemacht, weil das Atemmangeltraining ähnliche Anpassungen erzielen soll. Deshalb lohnt sich eine Betrachtung auf diese Trainingsform.

In den 70er-Jahren ging es los

Erstmalig wurde das Training unter bewusstem Atemmangel in den Siebzigerjahren in das Training integriert. Im Schwimmen ging es vor allem um das Zurücklegen immer längerer Strecken, ohne dabei zu atmen. Serien wie 8×25 Meter ohne Atmung waren zeitweise echte Klassiker.

Später gesellten sich Intervallserien wie 8×50 Meter mit immer länger werdender Strecke ohne Atmung oder die Verlängerung der Atmung beim Kraulschwimmen auf den 7er-, also Atmung auf jeden siebten Armzug, oder 9er- bis 11er-Rhythmus hinzu. Doch der Glaube an einen ähnlichen Effekt wie beim Höhentraining wurde durch die Wissenschaft schnell mit Untersuchungen widerlegt.

Die Ergebnisse zeigten, dass sich Hypoxietraining, wie man es in der Höhe absolviert, nicht durch Atemmangeltraining ersetzen oder gar gleichsetzen lässt. Vielmehr erlaubt das Atemmangeltraining weniger eine Anpassung an Sauerstoffarmut, sondern vielmehr an einen Kohlendioxidüberschuss im Organismus. Durch die reduzierte Atemtätigkeit bei gleichzeitiger Leistungserbringung steigt nämlich die Konzentration von Kohlendioxid im Blut an. In diesem Fall spricht man von deshalb Hyperkapnischem Training, welches einen direkten Einfluss auf eine völlig andere Dimension im Leistungssport hat: den Atemreflex.

Aufgabe: Lernen, den Atemreflex zu kontrollieren

Sie kennen die Situation im Training, wenn Sie sich gewollt durch die Intensität und Pausengestaltung derart unter physiologischen Stress versetzen, dass der Drang, atmen zu wollen immer größer wird. Dieser Atemreflex wird durch den erhöhten Kohlendioxidgehalt im Blut hervorgerufen und bedeutet letztlich auch einen sinnvollen Überlebensschutz.

Apnoetaucher zum Beispiel, versuchen diesen Atemreflex durch mentale Trainingstechniken zu umgehen. Nun merken Sie schon, auf welche Ebene dieses Training hauptsächlich abzielt: es ist das Steuern des Atemreflexes auf der einen Seite. Auf der anderen Seite ist es das Tolerieren einer Notsituation und das gleichzeitige Erlernen adäquater Reaktionen. Was im Klartext nichts anderes bedeutet als: Lernen Sie mit diesem Mangel umzugehen und ihn bis zu einem gewissen Grad willentlich kontrollieren zu können! Denn genau diese Fähigkeit beschreibt einen entscheidenden Faktor im Leistungssport; nämlich Krisensituationen gewappnet zu sein. Und ein Atemmangel ist definitiv eine wiederkehrende Krisensituation.

Intervallserien die beste Methode

Insofern haben die oben beschriebenen Intervallserien ihre eindeutige Berechtigung im Trainingsalltag der Ausdauersportarten. Stellen Sie sich nur die vielen Situationen im Schwimmsport vor, in denen Sie vor genau diese Situation gestellt werden: Sie möchten eigentlich anhalten und hyperventilierend den Sauerstoff einsaugen, den Sie eigentlich benötigen. Allein durch die Streckenlängen, aber auch durch ein weiteres Charakteristikum des Schwimmens, werden Sie latent vor diese Herausforderung gestellt, genau diesem Reflex zu widerstehen. So können Sie, bedingt durch die verschiedenen Schwimmtechniken, nicht immer dann atmen, wann Sie das für sinnvoll erachten. Vielmehr müssen Sie sich auf einen Kompromiss einigen, der Ihnen das Einhalten einer guten Schwimmtechnik sichert und gleichzeitig eine effektive Atmung berücksichtigt.

Hypoxietraining ist folgerichtig sowohl für Becken- wie auch Freiwasser- und Triathlonschwimmer eine absolute Notwendigkeit. Sei es im Endspurt unter Sauerstoffmangel konzentriert oder beim Gerangel an einer Boje trotz fehlender Atemmöglichkeit selbstsicher und gelassen zu bleiben. Lernen Sie mit diesen Situationen umzugehen und üben Sie sie deshalb regelmäßig im Training.

—————————————

Tipp / Warnhinweis:

Vermeiden Sie ein heftiges, kurzes Hyperventilieren vor den Übungen. Damit würden Sie den Atemreflex umgehen und es kann dann im schlimmsten Fall zur Bewusstlosigkeit führen. Tasten Sie sich langsam an längere Strecken unter Atemmangel heran, gehen Sie niemals in den Grenzebereich und setzen Sie Hypoxietraining gut dosiert im Training ein.


Von Holger Lüning

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert