Vertraue den alten Regeln (nicht immer)
Training nach Schema F?
Traue den alten Regeln nicht (immer)!
„Das war schon immer so und wird auch immer so bleiben!“ Sicher kennen Sie diesen Ausspruch nur zu gut. Als Kind waren das vielleicht Worte, die Sie buchstäblich auf „die Palme“ gebracht haben. Und dennoch kann es im weiteren Lebensverlauf durchaus mal passieren, wie man sich selber ertappt, alte Weisheiten einfach zu wiederholen. Was mal gut war, muss ja jetzt nicht verkehrt sein. Aber stimmt das wirklich?
Als Sportler oder Trainer sind Sie vor allem auf der Suche nach dem einen Geheimnis: wie kann ich schneller werden oder wie kann ich meine Schützlinge schneller machen? Gerne blättert man in den Nachschlagewerken des Sports, um sich Anregungen für die Trainingsgestaltung zu holen. Man will ja auf keinen Fall etwas falsch machen! Mal ganz ehrlich: ist das nicht häufig der versteckte Ansatz? Nichts verkehrt machen zu wollen? Bloß keine Fehler machen, die den Trainingsverlauf und den kurz- wie langfristigen Formaufbau vielleicht stören könnten? Doch wie schafft man es, ein umfangreiches Verständnis von dem zu bekommen, was man gut oder hervorragend machen möchte? Wie wäre es denn, wenn Sie den alten Regeln nicht immer blind vertrauen würden? Oder sagen wir, nur zum Teil – und den anderen Teil würden Sie selber erkunden.
Ein interessanter Versuch
Stellen Sie sich einen jungen Trainer vor, der genau das tut und dabei etwas Erstaunliches feststellt. Es geht ihm darum, die Schnelligkeitsfähigkeiten bei seinen Schwimmern zu entwickeln. Laut Lehrbuch sollte man nach einem ausgiebigen Schnelligkeitstraining eine Phase der Regeneration einschieben. In diesem Falle jedoch, wendet er dasselbe Trainingsmittel auch am Folgetag an und stellt zu seinem Erstaunen fest, dass sich die Zeiten seiner Schützlinge verbessert haben. Einen Tag später lässt er einen klassischen Stehvermögentest im Schwimmen über vier Mal fünfzig Meter mit zehn Sekunden Pause schwimmen. Nach fünf Minuten Pause überrascht er seine Schwimmer mit der Aufgabe, nochmals einen Schnelligkeitstest zu absolvieren. Und tatsächlich erreichen fast alle Schwimmer ihre schnellsten 25m-Zeiten in dieser Trainingswoche.
Nun sollen Sie nicht animiert sein, in jeder Woche nur ein einziges Programm zu schwimmen. Und es soll auch nicht der Eindruck vermittelt werden, bewährte Methodikreihen wären nicht mehr zeitgemäß. Und schon gar nicht erfüllt die gemachte Erfahrung den Kriterien einer wissenschaftlichen Untersuchung. Denn natürlich kann man nicht bei allen Anforderungen erwarten, dass ein Schwimmer in der Lage ist, quasi von Tag zu Tag besser mit ihnen zurecht zu kommen und damit täglich besser werden zu können. Sicher nicht! Vielleicht aber haben Sie als Schwimmer oder Trainer schon einmal ähnliche Erlebnisse gehabt und sich selber ein wenig gewundert, wie so etwas passieren kann. Die Ausnahmen von der Regel oder trauen wir uns nur zu selten etwas zu?
Improvisation bringt Innovation
Da kommt man möglicherweise einem ganz anderen Phänomen auf die Schliche! Immer wieder entwickeln sich in kleinen Vereinen großartige Sportler, die von Trainern betreut werden, die noch nie einen Spitzensportler in ihren Reihen hatten. Trainer, die wegen teilweise enorm schwieriger Trainingsbedingungen zu echten Improvisationskünstlern geworden sind. Immer auf der Suche nach neuen Inhalten, um mit viel zu vielen Schwimmern auf einer Bahn ein interessantes und forderndes Trainingsprogramm zusammen zu stellen. Dort wo sich Routine wie von selbst verbietet, werden ganz häufig Ideen entwickelt, die nicht immer kompatibel sind mit den altbewährten Regeln.
Ganz gleich, ob Sie Schwimmer oder Trainer sind. Stellen Sie die alten Regeln regelmäßig infrage. Kann man Schnelligkeit an zwei aufeinander folgenden Tagen trainieren oder nicht? Probieren Sie es einfach mal aus. Beobachten Sie die eigene Formkurve oder die Ihrer Schützlinge und fragen Sie sich, ob die Trainingsperiodisierung, wie sie seit mehr als vier Jahrzehnten weitergetragen wird, überhaupt zu Ihrem Trainingsumfeld passt. Niemand soll aufgefordert werden, ab heute alles zu ändern. Nein, im Gegenteil. Viele bewährte Erkenntnisse haben ihren Wert – aber ein wenig Auffrischung hat noch keiner Erkenntnis geschadet.