Renntaktik: Hier wird das Rennen entschieden!
Renntaktik und gezieltes Training für das dritte Teilstück
Warum es in der zweiten Rennhälfte zählt
Auch wenn Sie sich vielleicht fragen, was eine Bergtour mit einem Artikel über die Renntaktik im Schwimmen zu tun hat. Darf ich Sie dennoch auf eine Gipfeltour mitnehmen? Es wird genau das, was Sie mögen: eine echte Herausforderung. Mit gepacktem Rucksack geht es in den frühen Morgenstunden los. Motiviert und gespannt angesichts dessen, was der Tag so bringt, fallen die ersten Schritte leicht. Auch Ihre Begleiter sind frohen Mutes, dass die Vorbereitungen auf diesen Tag Ihnen dazu verhelfen werden, den Berggipfel bei bester Laune zu erreichen. Los geht´s!
Fulminant und voller Leichtigkeit geht es in die ersten Höhenmeter hinein. Das Gehen in der Steigung bereitet kaum Mühe, die Kraft in den Beinen verleiht einen sicheren Tritt. So kann es weitergehen, denken Sie bei sich und genießen diesen Moment. Auch der folgende Abschnitt ist gekennzeichnet von dem Gefühl, so richtig im Rhythmus zu sein. Ihre Kameraden scherzen und man ist voller Zuversicht, das Ziel in der geplanten Zeit zu erreichen.
Ein Rennen ist wie ein Gipfelsturm
Nach einer Weile und der erfolgreichen Besteigung der ersten Hälfte der zu erwartenden Höhenmeter wird Ihnen aber nun auch bewusst, wie weit der Gipfel noch entfernt ist. Besonders in der Rückschau auf die erste Hälfte lässt sich die zweite Hälfte noch besser einschätzen. Es wird Zeit, mit den Kräften zu haushalten und sich etwas von der Energie aufzubewahren, um nicht kurz vor dem Ziel zu straucheln. Schnell noch eine kleine Pause eingelegt, etwas gegessen und getrunken und mit dosiertem Elan in das dritte Teilstück. Der Weg ist das Ziel denken Sie und tatsächlich erleben Sie die ersten Momente der spürbaren Ermüdung. Der Schritt hat seinen Rhythmus zwar gefunden, doch Sie erahnen dabei auch die Limitierung der Restenergie. Besonders tief wirkt dieses Gefühl als Sie bemerken, wie einige Ihrer Kameraden noch immer bei bester Laune sind. Bin ich wirklich fit genug, um mithalten zu können, fragen Sie sich?
Endlich, das letzte Viertel! Schon im Vorfeld haben Sie sich die Etappen in vier gleich lange Etappen zurecht gelegt, um Ihre persönlichen Ressourcen besser einschätzen zu können. Jetzt ist es bald geschafft! Der Gipfel erscheint bereits im Sonnenlicht. Nun ist es fast egal, wie es um Sie steht, denken Sie bei sich. Hinunter fahren sowieso alle mit der Bergbahn, also noch einmal alle Reserven mobilisieren. Mithalten! Kräftige Schritte und ein dynamischer Abdruck bringen Sie nach oben. Zwar spüren Sie deutlich, wie sich die Reserven dem Ende zu neigen. Dennoch, oder gerade deswegen, gehen Sie nochmals einen Schritt schneller. Mit dem guten Gefühl, alles gegeben zu haben, stehen Sie auf dem Gipfel. Geschafft – im doppelten Wortsinn!
Parallelen zwischen Bergsteigen und Schwimm-Sprint
Würden Sie glauben, dass es zwischen einem 100-Meter-Sprinter im Schwimmen und einem Bergsteiger Parallelen gibt? Nein? Dabei sind Sie doch offensichtlich, wenn man sich, wie in diesem Beispiel, in die Gefühlswelt der Sportler hineinversetzen könnte. Dort wo die Gedanken innerhalb eines vielleicht sechzig Sekunden langen Rennens im Schwimmbecken umher rasen, haben Sie bei einer mehrstündigen Gipfeltour deutlich mehr Zeit, ihre Wirkung zu hinterlassen. Ihre Bedeutung und ihr Einfluss auf die Leistung ist jedoch identisch. Das dritte Teilstück scheint es zu sein, welches dem Ausdauersportler besonders viel abverlangt.
Wie ist das in Ihren Rennen? Kennen Sie das Gefühl? Als 200-Meter-Schwimmer beispielsweise gehen die ersten 100 Meter, sofern man sich in guter Verfassung befindet, immer sehr gut. Der Startsprung ist voller Dynamik, der Übergang in die ganze Lage verläuft planmäßig, die ersten Züge sind druckvoll. Sie sind vorne mit dabei. Sicherheit, Optimismus und Souveränität macht sich breit. Dann geht es in das dritte Teilstück. Sie spüren das offensive Angangstempo, sehen zudem auch, wie Sie die eigene Renngestaltung zunehmend an der Ihrer Mitbewerber orientieren und ausrichten. Dranbleiben und die Kontrolle behalten! So klingt es immer lauter. Die Leichtigkeit schwindet der Erschöpfung. Wende bei 150 Metern. Endlich – Endspurt. Alles geben! Keine Taktik mehr, nur noch Vollgas bis zum Anschlag. Geschafft!
Alles eine Frage der Einstellung?
So oder so ähnlich entwickelt sich das interne Zwiegespräch zwischen dem „Leistungsforderer“, Ihren Motivationszentren im Gehirn und dem Leistungserbringer, Ihren Organen und der leistungsrelevanten Muskulatur. Zwar helfen Strategien, um im entscheidenden Moment geistig wach zu sein und die Signale der Erschöpfung im gesunden Rahmen zu ignorieren. Blickt man einmal in das Szenario dieses Dialogs hinein, so scheint es sogar unbedingt notwendig, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, diese Rennmomente nach den eigenen Vorstellungen gedanklich steuern zu können. Mentales Training ist folgerichtig für Wettkampfsportler ein essentieller Bestandteil des leistungsorientierten Trainingsplans.
Kein Wunder also, wenn Spitzensportler ihre eigenen Mentaltrainer und Psychologen beschäftigen, um Körper und Geist auf Top-Leistung zu trimmen. Immer mehr setzt sich besonders im Ausdauersport die Erkenntnis durch, dass das Gehirn in Wahrheit der individuelle Leistungsbegrenzer ist und erst in zweiter Linie der physiologische Aspekt sportlicher Leistung. „Im dritten Viertel kommt es drauf an“, hört man Sportler immer wieder sagen. In den Endläufen der Olympischen Spiele in Rio de Janeiro über 200 Meter Freistil ist dieses Phänomen gut zu beobachten.
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Von Holger Lüning