Wissenschaft

Wissenschaft: Zuglänge erhöhen durch mehr Beweglichkeit

Beweglichkeitstraining: Zuglänge erhöhen und schneller schwimmen

Wer möchte nicht mit raumgreifenden Zügen schwimmen? Neben der Kraft spielt die Flexibilität dabei eine große Rolle. Mit den richtigen Methoden zur Muskeldehnung können Sie ihre Leistung erheblich verbessern. Holger Lüning gibt einen Einblick in die theoretischen Grundlagen.

In den 90er-Jahren entbrannte in der Sportwissenschaft eine hitzige Diskussion über richtiges und falsches Dehnen. Das Lager spaltete sich in die Anhänger des aktiven Dehnens, also mittels schwingender Dehnungsübungen, und der Befürworter des statischen Dehnens.

Einigkeit besteht in der Feststellung, dass eine flexible Muskulatur im Schwimmen erhebliche Vorteile mit sich bringt. Spart man bei jeder Bewegung nur ein wenig Energie oder erzielt – z.B. durch eine verbesserte Zuglänge – eine höhere Leistung bei gleichem Aufwand, dann kann der Zeitgewinn immens sein. Verkürzte Muskeln bedeuten demzufolge immer auch eine Bewegungslimitierung! Das Training der Flexibilität sollte folgerichtig Bestandteil Ihres Trainings sein.

Vorgespannte Muskeln sind leistungsfähiger

Deutlich wird der Zusammenhang, wenn man sportliche Bewegungen analysiert. Versuchen Sie doch mal einen Ball sehr weit zu werfen. Sie werden bemerken, dass Sie die Muskulatur im Schulterbereich weit vordehnen, um den Ball weit hinauszuschleudern. Je weiter Sie den Wurfarm nach hinten bewegen können desto höher ist der Schwung. Der Ball fliegt weiter!

Doch zurück zu den Theorien des korrekten Dehnens. Die aus der Gymnastik stammenden, wippenden Bewegungen wurden von den Experten in den 80er-Jahren als verletzungsfördernd betrachtet. Zudem stellte man fest, dass der Muskel bei einer plötzlichen Überdehnung, z.B. durch wippende Bewegungen, einen eigenen Schutzmechanismus aktiviert, der den Muskel sofort wieder kontrahieren (also zusammenziehen) lässt. So gesehen schien das Ergebnis des dynamischen Dehnens eher kontraproduktiv.

Diesen Schutzmechanismus konnte man Untersuchungen von Sven-A. Sölveborn (1983) und Karl-Peter Knebel (1985) zufolge durch langsame, behutsame oder sogar statische Dehnungsübungen in der finalen Dehnungsposition ausschalten. Diese Form des Dehnens führte über neuronale Mechanismen sogar zu einem deutlichen Abfall der Muskelspannung – der Relaxation oder der sogenannten Detonisierung. Das Ziel schien erreicht, die Idee des Stretchings war geboren. Dynamisches und schwingendes Dehnen wurde als altmodisch betrachtet.

Weder statisch noch dynamisch besser?

Klaus Wiemann (1991) und Georg Wydra (1997) konnten in jahrelangen Untersuchungen jedoch klären, dass weder die eine noch die andere Dehnungsmethode zu bevorzugen seien. Vielmehr besäße jede Methode ihren eigenen, sinnvollen Einsatzzweck. Eine gedehnte, flexible Muskulatur ist leistungsfähiger. Doch wäre der Abfall der Muskelspannung (Muskeltonus) z.B. vor einem Wettkampf eher leistungshindernd. Stretching würde die Leistung demzufolge negativ beeinflussen, weil der Muskel zu stark entspannt. Dynamisches Dehnen mit kurzen Kontraktionen, zumal noch in einer wettkampfähnlichen Bewegung ausgeführt, würde den Muskel in einen sehr guten Vor-Startzustand versetzen.

Vor einer sportlichen Betätigung sei es demzufolge sehr viel wichtiger mittels dynamischer Bewegungen den Muskel in einen vorgedehnten und aktivierten Zustand zu versetzen. Wenn Sie sich vor einem Wettkampf aufwärmen, sollten Sie also ruhig leichte schwingende Bewegungen ausführen. Damit erhöhen Sie die Durchblutung und Temperatur in den Muskeln und Gelenken und bringen Ihr „System“ auf Touren. So konnte Andreas Klee (1999) nachweisen, dass schon wenige Dehnbewegungen genügen, um die Bewegungsreichweite um 8-15% zu erhöhen. Wichtig für eine lockere Überwasserphase und einen raumgreifenden Zug.

Ein langer Muskel kann die Zuglänge verbessern

Das statische Dehnen in gehaltenen Dehnungspositionen gilt wegen seiner spannungsreduzierenden Wirkung vor allem in der Nachbereitung sportlicher Belastungen als sinnvoll. Langzeituntersuchungen von Geoffrey Goldspink in den 90er-Jahren zeigten, dass regelmäßiges, statisches Dehnen zu strukturellen Längenveränderungen im Muskel führen. So bildeten sich sogar neue Eiweißbrücken im Muskel, die zu einer messbaren Verlängerung führten. Langfristig betrachtet kann dies zu einer Verbesserung der Zuglänge beim Schwimmen führen.

Doch nicht immer sollten Sie sofort nach dem Sport mit dem Stretching beginnen. Besonders nach intensiven Belastungen, die von hohen muskulären Krafteinsätzen bestimmt werden, sollten Sie einige Zeit verrinnen lassen. Da der Muskel in dem Fall eine maximale Anzahl an Muskelfasern rekrutiert und folglich viele Brückenbildungen innerhalb des Muskels entstehen, kommt es zu einer Anhäufung von Stoffwechselendprodukten (wie z.B. Laktat). Dann sollten Sie zunächst ein ruhiges Abwärmen (z.B. Auslaufen, Ausschwimmen) durchführen oder sogar regenerative Maßnahmen (z.B. Bäder, Sauna) ergreifen, bevor sie Stretchingübungen durchführen.

Richtig eingesetzt, haben also beide Methoden ihre Berechtigung im sportlichen Training.

(von Holger Lüning)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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