Koordination: Neuromuskuläre Systeme optimieren!
In der Beurteilung der Ausdauerleistungsfähigkeit ist die Messung der maximalen Sauerstoffaufnahmefähigkeit eines der wichtigsten Kriterien. In den letzten beiden Jahrzehnten erkennt man hier bei den Spitzenathleten jedoch kaum noch Weiterentwicklungen. Immer häufiger diskutiert man deshalb die Nerv-Muskel-Verbindung als entscheidenden Leistungsfaktor.
Von Holger Lüning
Der Ausdauersport ist bestimmt durch zyklische Sportarten. Sie charakterisieren sich durch wiederkehrende, immer gleiche, Bewegungsmuster. Erst die dadurch entstehende Ökonomie der Gesamtbewegung macht eine konstant hohe Leistungserbringung über mehrere Stunden wie im Triathlon möglich.
Es verwundert also nicht, dass die Triathlondisziplinen Schwimmen, Radfahren und Laufen zyklische Sportarten sind. Ähnlich wie beim Skilanglauf oder Rudern führt die regelmäßig gleiche Bewegungsausführung zu einem motorischen Stereotyp, der nicht nur die Energiesysteme schont, sondern auch das zentrale Nervensystem weniger belastet als reaktive Sportarten wie beispielsweise Tennisspielen oder etwa Kampfsportarten.
Die relativ gleichmäßige Intensität beansprucht zudem genau die energieliefernden Systeme, die sich im Verlaufe eines Rennens durch Nahrungsaufnahme auffüllen lassen. Durch gezieltes Training können Sie diese Energiesysteme zudem effektiv entwickeln und besser auf die Belastung vorbereiten. Im wesentlichen spielt hier die Verbrennung von Kohlehydraten und Fetten unter Nutzung von Sauerstoff (aerobe Energiegewinnung) eine große Rolle.
Die maximale Sauerstoffaufnahmefähigkeit (VO2max) eines Sportlers ist deshalb ein wesentliches Kriterium für die Beurteilung der Ausdauerleistungsfähigkeit und gibt Auskunft über die Qualität von Sauerstoffzufuhr, -transport und -verwertung. Sie wird in Relation zum Körpergewicht gemessen und hat seit Jahrzehnten, zusammen mit der Laktatdiagnostik, eine hohe Aussagekraft.
In den vergangenen Jahren hat sich jedoch gezeigt, dass sich der VO2max-Wert im Durchschnitt der Spitzensportler kaum mehr verbessert hat. Sportmediziner und Trainingswissenschaftler haben sich auf die Suche nach der Ursache gemacht. Eine amerikanische Studie aus dem Jahre 2004 um den Wissenschaftler A.R. Creer hat beispielweise die Wirkung eines Sprinttraining von jeweils 30 Sekunden bei trainierten Radfahrern untersucht. Gegenüber der Kontrollgruppe verbesserten sich die Probanden in einem abschließenden Test nach 4 Wochen zusätzlichen Trainings von 7 Minuten pro Woche signifikant in den Bereichen Gesamtarbeit, Maximalkraft und Ausdauerleistung. Mittels einer EMG-Untersuchung machte man das verbesserte Zusammenspiel von Nerv und Muskel für dieses Ergebnis verantwortlich. Grund genug, einen Blick auf die Belastungsstruktur der Ausdauersportarten zu werfen.
Die Hauptstruktur zyklischer Sportarten ist neben der wiederkehrenden Bewegungsmuster eine weitere Charakteristik: der stete Wechsel zwischen muskulärer Anspannung und muskulärer Entspannung. Und genau mit dem verbesserten Zusammenspiel verschiedener Muskeln (intermuskuläre Koordination) einerseits aber auch der optimierten Kontraktionsfähigkeit innerhalb eines Muskels (intramuskuläre Koordination) werden diese Leistungsverbesserungen erklärt. Die Trainingsmethoden im Ausdauersport erfordern deshalb eine größere Vielfalt.
Damit greift aber auch ein weiterer wichtiger Mitspieler in das Geschehen ein: das Gehirn. Sowohl die Anspannung (Kontraktion) wie auch die Entspannung (Relaxation) der Muskeln werden über unsere Schaltzentrale reguliert. Und das beste daran: unser Gehirn ist trainierbar wie ein Muskel und besitzt aufgrund seiner Plastizität die Fähigkeit, sich neue Ansteuerungsmuster anzueignen. Diesen Umstand gilt es nun, für eine verbesserte muskuläre Koordination und ein optimales Kontraktions-Relaxations-Muster zu nutzen.
Untersuchungen haben gezeigt, dass dieses hochfrequente Muster einen ganz entscheidenden Anteil an einer Ausdauerleistung hat. Je schneller es Ihnen also gelingt, den Wechsel zwischen Anspannung und Entspannung, also dem regenerativen Anteil der Bewegung, vorzunehmen, desto länger können Sie eine hohe Leistung aufrecht erhalten.
Die Überwasserphase beim Schwimmen, die Aufwärtsbewegung beim Radfahren und die Schwungbewegung beim Laufen dienen besonders dem Zweck der Erholung! Treffen zwei vergleichbare Sportler mit identischen VO2max-Werten aufeinander, wird sich folgerichtig derjenige durchsetzen, dessen Gehirn „besser arbeitet“. Oder anderes formuliert: dessen Ansteuerung zwischen Gehirn und Muskel besser trainiert ist.
Bedeutet dies nun die Abkehr von langen Grundlageneinheiten? Nein, natürlich ist das Training der beteiligten Organssysteme nach wie vor die grundlegende Voraussetzung für überdurchschnittliche Ausdauerleistungen. Doch hat das Training der muskulären Koordination seinen Platz im Trainingsplan mehr als verdient. Ja, es ist für das Erreichen individueller Bestleistungen sogar eine Bedingung!
Erschwerend kommt hinzu, dass mit steigendem Alter die Schnelligkeitsfähigkeiten am frühesten und ausgeprägtesten verloren gehen. Damit einhergehend nimmt auch die Elastizität der Muskulatur und die Bewegungsamplitude ab. Weitere Argumente also für ein Training kurzzeitiger Krafteinsätze.
In der äußeren Betrachtung eines Sportlers sind diese Phänome des Nerv-Muskel-Zusammenspiels kaum erkennbar. Denn: Wenn in diesem Zusammenhang von der Ansteuerungsfrequenz der Muskulatur gesprochen wird, darf dies nicht verwechselt werden mit der allgemeinen Bewegungsgeschwindigkeit.
Zur Verdeutlichung werfen wir einen Blick auf ein Szenario aus der jüngsten Sporthistorie. Erinnern Sie sich an das Duell von Lance Armstrong und Jan Ullrich und die ständige Diskussion über die richtige Trittfrequenz? Während Armstrong im hochfrequenten Spinningstil fuhr, begnügte sich Ullrich mit einer deutlich niedrigeren, kraftbetonten Trittfrequenz.
Das bei dem Texaner und dem Deutschen zweifellos vorhandene optimale Zusammenspiel von Anspannung und Entspannung zeigt sich demzufolge nicht zwangsläufig in einer identischen Bewegungsgeschwindigkeit. Es handelt es sich folgerichtig um Abläufe in der feinmotorischen Abstimmung der Muskulatur.
Zusammenfassend führt eine verbesserte inter- und intramuskuläre Koordination demzufolge zu einem ökonomischen Zusammenspiel der an der Bewegung beteiligten Muskeln. Welchen Leistungsfortschritt können Sie nun erwarten, wenn Sie die dazu passenden Trainingsmethoden in Ihr Training integrieren?
Neben der gestiegenen Agilität ist die verbesserte Entspannungsfähigkeit der beteiligten Muskeln für den Ausdauersport mit Sicherheit der entscheidende Faktor für eine Leistungsverbesserung. Aber auch die damit verbundene schnellere Aktivierung im nachfolgenden Bewegungszyklus wird Ihre Leistungsfähigkeit erhöhen.
Bei einer elfstündigen Langdistanz summiert sich Ihr Aufwand nämlich schnell auf über 40.000 Bewegungszyklen! Wenn es Ihnen gelingt, bei jeder Bewegung ein wenig effizienter zu agieren, werden Sie schnell eine enorme Leistungsverbesserung erzielen. Und eine weitere gute Nachricht am Ende: Sie müssen für diese Trainingsform gar nicht viel Zeit aufwenden!