WISSENSCHAFT: Warum 3 Kilometer trainieren für einen 100-Meter-Wettkampf
Effektivität im Training: Warum zwei Stunden trainieren, um im Wettkampf 100 Meter schnell zu schwimmen?
Seit einigen Jahren mehren sich die Stimmen in der Trainingswissenschaft, die behaupten, in der Kürze des Trainings liege die Kraft und nicht in der puren Menge. Trainingsformen wie das Hoch-Intensive Intervalltraining (HIT) haben sich in diesem Zusammenhang als belebendes Element erwiesen und viele Trainer dazu gebracht, über herkömmliche Methoden kritisch zu reflektieren. Einige wissenschaftliche Untersuchungen konnten die Wirksamkeit höherer Intensitäten gegenüber großen Umfängen nachweisen.
Dabei steht häufig die Frage im Raum:
Weshalb soll ein Schwimmer teilweise mehr als zehn Kilometer am Tag zurück legen, wenn seine Wettkampfdauer im Kernbereich bei lediglich ein bis vier Minuten liegt?
Hat sich da ein System verselbstständigt ohne infrage gestellt zu werden? Wenn man sieht, dass der Deutsche Schwimm-Verband bereits für 9-jährige Kinder einen Wochenumfang von 28 Kilometer für den Spitzenbereich vorsieht, sind das bereits enorme Trainingsleistungen. Macht das Sinn?
Studie der Ball University um David Costill
Der renommierte amerikanische Forscher David Costill von Ball State University hat in einer Studie zwei Trainingsruppen über einen Zeitraum von 25 Wochen untersucht. Zunächst trainierten beide Gruppen jeweils nur ein Mal pro Tag. Lediglich in den Wochen 10 bis 15 hingegen trainierte eine Gruppe zwei Mal am Tag. Zu keinem Zeitpunkt der Untersuchung, und auch nicht zum Abschluss, konnten sich die Mehr-Trainierer einen höheren Anpassungsgrad verschaffen oder ihre aerobe Kapazität gegenüber den Wenig-Trainierern steigern. Höheres Trainingsvolumen als Zeitverschwendung?
Eine französische Studie nahm eine Schwimmergruppe für 44 Wochen unter die Lupe, die zwei Trainingseinheiten am Tag absolvierten. Zum Abschluss zeigte sich, dass die Schwimmer, die mit höheren Intensitäten trainierten, die größten Leistungssprünge verzeichneten. Das reine Volumen scheint nach Auffassung der Forscher demzufolge keinen großen Einfluss auf eine Leistungssteigerung zu haben.
Schlussfolgernd scheint ein adäquates Tempotraining, deutlich häufiger im Bereich der Wettkampfgeschwindigkeit, die bessere Methode zu sein als reines Kilometerschrubben. Auch wird die Schlussfolgerung gezogen, dass die technische Perfektion möglicherweise viel besser im hohen Tempobereich erarbeitet werden könne als durch lange Strecken im gemäßigten Intensitätsbereich. So die Theorie.
Hohe Umfänge sogar kontraproduktiv?
Die Wissenschaftler gehen sogar noch einen Schritt weiter in ihrer Interpretation und mutmaßen, dass hohe Umfänge in niedrigen Tempobereichen sogar zu einer Reduzierung der Kraftentfaltung der schnellen Muskelfasern führen und gleichzeitig auf niedrige Tempi angelegte Koordinationsmuster mit negativen Auswirkungen auf die Wettkampfperformance entwickeln könnte. Eine hohe Laktattoleranz, die im Bereich der 50 bis 200-Meter-Strecken auch schon einmal an Werte von 20 mmol/l Blut reichen können, erfordern nun einmal auch permanent recht hohe Trainingsintensitäten, so die Forscher.
Langes Dauerschwimmen und extensive Intervallserien sollten dann im Schwerpunkt dazu eingesetzt werden, die Nach- und Vorbereitung für höhere Trainingsbelastungen zu gewährleisten und die Muskulatur zu lockern.
In einer seiner Studien wirft David Costill etwas provozierend die Frage auf: „Die meisten Rennen im Schwimmen bewegen sich im Bereich von bis zu zwei Minuten Länge. Wie kann ein Training über drei bis vier Stunden täglich, indem der Großteil in einem deutlich niedrigeren Tempo geschwommen wird als die angestrebte Wettkampfgeschwindigkeit, einen Schwimmer optimal auf die maximalen Erfordernisse seines Rennens vorbereiten?“
Kritisch hinterfragen
Diese Studien sollen natürlich nicht dazu aufrufen, als 100-Meter-Schwimmer auch nur ein Mal am Tag 100 Meter in maximalem Tempo zu schwimmen und dann das Becken zu verlassen. Die reine Trainingsquantität führt schließlich zu ganz wichtigen Anpassungen beispielsweise in der Kapillarisierung und hat damit ihre Berechtigung. Werden diese „Blutleitungen“, als einer von mehreren Effekten, nicht entwickelt, kann die Leistungsmuskulatur auch nicht ausreichend versorgt werden. Es scheint aber, dass es eine Obergrenze an sinnvollem Trainingsvolumen zu geben. Diese Obergrenze zu finden ist die große und schwierige Aufgabe von Sportlern und Trainern. Denn auch hier gilt: jeder Sportler ist individuell!
Von Holger Lüning
so ein Ansatz kann aber auch leicht in die Irre führen! Klar, wenn man lediglich im Hobbybereich unterwegs ist dann wird man sicher dem 80/20 Ansatz folgen und die Trainingsgestaltung so effizient wie möglich vollziehen. Da kann es dann auch durchaus sinnvoll sein, die Umfänge stark zu reduzieren und nur punktuell einen Reiz zu setzen.
Im Spitzenbereich ist es doch aber anders! Dort werden die Leistungssprünge nur durch die sehr harten Schlüssel-TEs erreicht. Und diese übersteht nur wer die Basis vorher extrem gestärkt hat. Ausserdem sind Umfänge auch sinnvoll um den Kern des Sportlers heraus zu schälen, oder hart gesagt die Spreu vom Weizen zu trennen .
Nicht so?
Absolut richtig. Ein „richtig“ oder „falsch“ kann es pauschal nicht geben. Das ist ja auch das Fazit der Untersuchungen. Einen Gedanken, und wenn es nur die Überprüfung der eigenen Trainingsroutinen ist, sind die Studien aber doch allemal wert.
Vielen Dank für deinen Kommentar!