Wissenschaft

WISSENSCHAFT: Die Theorien und Studien zum „hohen Ellenbogen“

Das Geheimnis schnellen Schwimmens: Ellenbogen stellen!

Diesen Ausspruch kennt wirklich jeder, der mit Schwimmsport zu tun hat. Entweder als Empfänger dieses Kommandos durch den Trainer oder als Versender des selbigen. Das Stellen des Ellenbogens scheint eines der wichtigsten Kriterien schnellen Schwimmens zu sein. Und tatsächlich: genauso ist das auch!

Neben der Ausdauer geht es im Schwimmsport vor allem um die Kraft des Athleten. Im besten Falle verhält sich das Gewicht des Sportlers in einer idealen Relation zu seinen Kraftfähigkeiten. Dann spricht man von einer hohen Relativkraft – in etwa das, was man im Automobilrennsport als Leistungsgewicht bezeichnet, also die Kraft pro Kilogramm Körpergewicht.

Vorteil des Auftriebs nutzen

Im Schwimmen haben schwere Athleten jedoch immer noch den Vorteil, dass sie, im Gegensatz zum Laufen, ihr eigenes Körpergewicht nicht tragen müssen. Die Auftriebseigenschaften des Wassers im Zusammenhang mit der Zusammensetzung des menschlichen Körpers unterdrücken diesen Aspekt. Wenn auch nicht völlig. Wohl aber ist dieses Phänomen eine Erklärung für die enormen Leistungssprünge der Schwimmzeiten in der Ära der Hightech-Anzüge. Besonders die schweren und kräftigen Athleten profitierten von der künstlichen Auftriebs- und Kompressionshilfe der Anzüge. Doch zurück zum Ellenbogen.

Das Stellen des Ellenbogens meint in der Übersetzung der Schwimmersprache, den Ellenbogen zu Beginn der Zugphase möglichst hoch angestellt zu lassen, um mit der Hand und dem Unterarm auf die selbe vertikale Höhe zu kommen. In der Seitansicht eines technisch versierten Schwimmern erkennt man, wie die Antriebsflächen (Hand und Unterarm) vertikal unter den Ellenbogen gebracht werden, um aus dieser Position eine effektive Druckphase realisieren zu können.

Und nur, wenn diese Position durch den Schwimmer erreicht wird, kann mit Beginn der Druckphase ein kraftvoller Abdruck aus dem gebeugten Ellenbogen nach hinten in Richtung Oberschenkel erfolgen. Gelingt dies nicht, und Hand und Unterarm bleiben in der Seitbetrachtung vor dem Ellenbogen, so wird ein Abdruck nach hinten fast nicht mehr möglich. Dies ist die Erklärung für den fast schon rituell anmutenden Ausspruch „Stell deinen Ellenbogen!“

Anstellen auf verschiedene Arten

Nun gibt es verschiedene Möglichkeiten, wie das Anstellen des Ellenbogens ausgeführt werden kann. Dabei spielt auch das Kraftpotenzial eines Sportlers eine große Rolle, natürlich auch die Streckenlänge und die damit einhergehende Höhe des Kraftimpulses und zu guter Letzt auch die Stabilität des Schultergelenks als limitierende Faktoren.

Der australische Wissenschaftler Matt Keys hat 2010 in einer Untersuchung drei verschiedene Arten des Ellenbogen-Anstellens ermittelt – mit all den Vor- und Nachteilen.

  1. Zugbeginn mit gestrecktem Arm

Der Schwimmer drückt zunächst mit gestrecktem Arm auf das Wasser, um damit einen möglichst schnellen Geschwindigkeitsaufbau sowie Auftrieb zu erzielen. Diese Form des Zugmusters erfordert sehr viel Kraft und wird deshalb vor allem im Sprintbereich eingesetzt. Der Stress auf das Schultergelenk ist relativ hoch.

  1. Zugbeginn mit abfallendem Ellenbogen

Hier versucht der Schwimmer, den ersten Moment der Zugphase zu nutzen, um leichten Druck auf das Wasser auszuüben. Dabei fällt der Ellenbogen etwas ab und die Antriebsflächen stehen zu Beginn der Druckphase auf einer vertikalen Höhe. Der Impuls entsteht relativ spät in der Unterwasserphase und geht mit einer deutlich sichtbaren Beschleunigung der Hand in der Druckphase einher. Diese Technik bedeutet einen moderaten Hebel auf das Schultergelenk.

  1. Zugmuster mit sehr hoher Ellenbogenführung

Hier versucht der Schwimmer mit dem Einsetzen der Hand und des Arms, den Ellenbogen sofort auf maximaler Höhe zur Wasseroberfläche anzustellen. Prominente Beispiele dieser Technik sind die Langstreckler Grant Hackett und Sun Yang. Für diese Technik ist eine gute Wasserlage notwendig. Sie ist wegen des eher niedrigen Drehmoments, d.h. Beschleunigung der Antriebsflächen, eher im Mittel- und Langestreckenbereich anzutreffen und hat wegen der schonenden Hebeltechnik am wenigstens Stresseinfluss auf das Schultergelenk.

Somit spricht der Wissenschaftler eine technische Empfehlung für den Sprint-, Mittel- und auch Langstreckenbereich aus, die sich im Wesentlichen an den Kraftfähigkeiten der Sportler orientieren. Je höher die Kraftfähigkeiten des Sportlers sind, desto brachialer und offensiver sollte diese Kraft mittels eines hohen Drucks auf das Wasser auch in Geschwindigkeit umgesetzt werden.

Schonende Armbewegung für Langstreckenschwimmer

Je länger eine Wettkampfstrecke ist, und damit ja auch der Trainingsumfang, desto wichtiger ist eine optimale Technik im Hinblick auf eine das Schultergelenk schonende Armbewegung.

Generell gilt: es geht im Schwimmen nicht darum, möglichst viel Wasser zu bewegen und wie ein Schaufelraddampfer tief zu greifen. Vielmehr stellen sich die günstigsten biomechanischen Bedingungen genau dann ein, wenn der Ellenbogen während der gesamten Unterwasserbewegung hoch geführt wird. Zugleich gewährleistet diese Hochführung, dass sowohl der Unterarm wie auch die Hand als aktive Antriebsfläche in einem optimalen Winkel zur Wasseroberfläche stehen. Also: Stellen Sie den Ellenbogen!


von Holger Lüning


Quellenhinweis:

Keys, M., Lyttle, A., Cheng, L., & Blanksby, B. A. (2010). Wave formation as a possible mechanism of propulsion in the freestyle stroke. A paper presented at the XIth International Symposium for Biomechanics and Medicine in Swimming, Oslo, June 16-19, 2010.

 

 

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