WISSENSCHAFT: Welche Rolle die Körperlänge im Schwimmsport spielt
Weil Größe nicht gleich Länge ist: „Streck dich!“
„Länge lauft“, haben Sie diesen Satz auch schon häufiger gehört, wenn es um die optimale Länge eines schwimmenden Körpers handelt? Dieses überlieferte Gesetz aus dem Bootsbau zielt vor allem auf die ruhigere Wasserlage von lang gebauten Schiffskörpern bei Wellengang. Doch was für Boote gilt, könnte auch für Schwimmer eine Überlegung wert sein.
Schaut man sich die Schwimmspezialisten der Weltklasse an, so fällt bis auf wenige Ausnahmen vor allem eins auf: Top-Schwimmer sind mittlerweile auf einem Köpergrößenniveau von 190 Zentimeter und mehr angelangt. Männliche Schwimmer mit kleinerem Körperbau sind immer seltener anzutreffen. Also ist wohl etwas dran an den überlieferten Gesetzen.
Die Hebel machen das Tempo
Im Schwimmsport kommt noch eine weitere Komponente hinzu. Wer groß ist, der hat im Regelfall auch lange Hebel. Lange Arme ermöglichen dank des idealen Hebels eine optimierte Zuglänge. Erinnern Sie sich den mehrfachen Olympiasieger und Weltmeister Michael Gross? Bei einer Körpergröße von 201 Zentimetern verfügte der erfolgreichste deutsche Schwimmer über eine Spannweite von 213 Zentimetern, was ihm den Spitznamen Albatros einbrachte.
Und da kommen wir einem weiteren Phänomen auf die Spur, nämlich dem Verhältnis von Körpergröße und Spannweite. Messen Sie doch bei sich selber einmal das Verhältnis aus. Ist Ihre Spannweite größer als die Größe Ihres Körpers? Dann haben Sie beste Voraussetzungen, ein guter Schwimmer oder eine gute Schwimmerin zu werden. Denn das ist eine der geheimen Talentformeln im Schwimmsport.
So fallen sehr gute Schwimmer und Schwimmerinnen auch durch einen relativ langen Oberkörper gegenüber der Beinlänge auf. Haben Sie das Problem, Idealgewicht vorausgesetzt, dass Sie Ihre neu gekauften Hosen erst einmal kürzen müssen? Ein gutes Zeichen, wenn Sie schnell schwimmen möchten.
Aus den Gegebenheiten das Beste machen
Doch auch wenn Sie nicht über das Glück solcher Körperproportionen verfügen, gilt auch für Sie der Grundsatz: Holen Sie das Beste an Länge aus sich heraus, strecken Sie sich! Denn Größe ist nicht gleich Länge.
Das gilt für alle Schwimmlagen gleichermaßen, um zunächst eine strömungsgünstige Position einzunehmen. Wie Sie wissen, ist der Wasserwiderstand ein großes Hindernis auf dem Weg zu Höchstgeschwindigkeiten. Je länger Sie sich machen, umso stabiler liegen Sie im Wasser. Dadurch reduzieren Sie den Frontalwiderstand. Als Anhaltspunkt darf Ihre Bauchdecke ruhig gespannt sein, wenn Sie in die Vorstreckung der Arme gehen. Stellt sich dieses Gefühl ein, wissen Sie, dass Sie gestreckt sind.
In der weiteren Verfolgung der Unterwasserbewegung haben Sie einen zusätzlichen Vorteil, wenn Sie in die Länge gehen. Dann haben Sie beim Zugansatz deutlich mehr Zeit zur Verfügung, um die Hebel günstig anzustellen. Kommen Sie nicht in die komplette Armstreckung, werden Weg und Zeit schon recht knapp, um technisch sauber zu schwimmen.
Ruhig mal übertreiben
Integrieren Sie deshalb regelmäßig Übungen mit langem Schwimmen und fast übertriebener Arm- und Körperstreckung, um sich diese Fähigkeiten zu erhalten oder sogar zu verbessern. Genauso wichtig ist es, sich auch im Wettkampf auf die Länge des Armzugs zu konzentrieren. Besonders in Krisensituationen, d.h. wenn Energie und Kraft nachlassen, neigt man stark dazu, die schwindende Geschwindigkeit über eine immer höher werdende Frequenz zu kompensieren. Konzentrieren Sie sich besonders in diesen Momenten auf eine ausgeprägte Streckung und einen langen Zug. Dann liegen Sie nicht nur stabil im Wasser, sondern gehen mit Ihren Ressourcen auch effizienter um. „Länge läuft“ – genauso ist es!
Von Holger Lüning