Wassergefühl: Werden Technikübungen überschätzt?
Sensomotorik: Techtelmechtel mit dem Wasser?
Oft beschrieben und dennoch kaum in klare Worte oder sogar eine Definition zu packen: das Wassergefühl! Wie fühlt es sich an, wenn ich Wassergefühl habe? Gibt es unterschiedliche Könnensstufen des Wassergefühls? Fragen über Fragen – hier kommen die Antworten.
„Ab wann weiß ich eigentlich, dass ich Wassergefühl habe?“ Sie merken es schon nach den ersten einleitenden Sätzen. Es ist fast wie das Verliebtsein – jede Beschreibung ist höchst individuell und durchläuft eine Vielzahl persönlicher Filter, so dass es keine Definition geben kann. Aber wie nähert man sich denn nun diesem Thema an? Wie kann man das Gefühl erlangen, von dem so viele sprechen und das ja ganz offensichtlich für schnelles Schwimmen ein bedeutendes Element zu sein scheint.
Ist Wassergefühl angeborene Kunst?
Vielleicht kann man es mit der Kochkunst oder der Musik vergleichen. Sicher gibt es hier Menschen, die haben eine bessere sensorische Ausstattung für manche Empfindungen als andere. Die spezifischen Empfangskanäle reagieren dann einfach etwas sensibler als bei anderen Menschen. Glücklich ist, wer seine Berufung in den Bereichen findet, die mit diesen persönlichen Fähigkeiten harmonieren. Dann spricht man von Begabung. Doch Begabung allein macht noch keinen Meister. Es gehört auch viel Disziplin, Fleiß und die geschickte Auswahl an Lern- oder Trainingsmethoden dazu, um die persönlichen Fähigkeiten zu verbessern oder zu vervollkommnen. Und das könnte auch für das Wassergefühl gelten. So gesehen ist es erstens nie zu spät, am Wassergefühl zu arbeiten und zweitens ein nie endender Prozess.
In der Wissenschaft spricht man in diesem Fall von der Sensomotorik, also dem Zusammenhang zwischen dem Empfang von Informationen über die Sensoren (Temperatur, Druck, Gelenkstellung u.ä.) und der optimalen Integration dieser Informationen in eine situationsgerechte Bewegung (Motorik). Alltagsbeispiel: wer auf eine heiße Herdplatte greift und die klare sensorische Temperatur-Information erhält, reagiert mit dem maximal schnellen Wegziehen der Hand. In diesem Fall spielen Reflexe zusätzlich eine große Rolle im Kontext der Sensomotorik.
Die Didaktik macht´s
Im Schwimmen hingegen müssen viele Bewegungsmuster erst einmal konzipiert werden, da es sich prinzipiell nicht um eine natürliche Bewegung des Menschen handelt. Deshalb nähert man sich über verschiedene Übungsreihen zunächst einmal einer Wassergewöhnung an. Diese Gewöhnung ist wichtig, um die vorhandene Unsicherheit dem fremden Medium Wasser gegenüber ablegen zu können. Gut geplante didaktische Methoden und Übungsreihen führen dann sukzessive zum Erlernen der Schwimmtechnik. Im Stadium der Grobform erfolgreich angelangt, strebt man zwangsläufig nach mehr: dem effizienten und schnellen Schwimmen!
Und hier lauern auch einige Gefahren besonders für den Neuling oder den schwimmerischen Seiteneinsteiger, wie man ihn klassisch im Triathlonsport häufig antrifft. Diese Gefahr trägt einen Namen, der eigentlich nur Gutes verheißt: Technikübungen. Die Begrifflichkeit impliziert eine technische Verbesserung bei oder nach der Durchführung. Könnte also bedeuten: je mehr Technikübungen umso besser? Und genau hier ist Vorsicht geboten. Denn es gilt: gezielte Vielfalt „ja“, ungeordnete Vielfalt „nein“.
Technikübungen überschätzt?
Auch wenn die Begrifflichkeit „Technikübung“ schnell versprechen könnte, dass die Durchführung derselben auch einen unmittelbaren Zugewinn an technischen Fähigkeiten erwarten lässt, so ist hier ganz schnell des Guten zu viel vollbracht. So gibt es mittlerweile eine derart hohe Anzahl an technischen Übungen, den sogenannten TÜ, und deren Variationen, dass man gut und gerne mehrere Trainingseinheiten einzig und allein damit füllen könnte. Gar nicht wenige Sportler und Trainer verwenden deshalb gerne einmal einen Großteil der Wasserzeit auf das Absolvieren dieser TÜ. Mitunter führen diese Übungen aber nicht an das Ziel. Denn das Ziel heißt ganz eindeutig, die Technik oder das Gefühl für die angestrebte Gesamtlage zu verbessern. Ganz häufig jedoch erlangt man durch zahlreiche TÜ-Wiederholungen lediglich eine spezifische koordinative Verbesserung in genau dieser Übung und nicht zwangsläufig in der Bewegungsausführung der Gesamtlage. Ein Transfer ist folgerichtig nicht automatisch zu erwarten.
Schwimmen Sie deshalb nicht mehr als zwei verschiedene Technikübungen in ihren Übungseinheiten, um einen Veränderungsprozess realisieren zu können. Dazu benötigt man eine Mindestanzahl an Wiederholungen. Absolvieren Sie jeweils vier mal 50 Meter davon und wechseln Sie dann über in das Trainingsprogramm. Denn genau dort liegt der große Schatz des Wassergefühls vergraben. Das Heben dieses Schatzes ist ein interessanter Prozess mit vielfältigen Sinneseindrücken.
Lagen-Training sinnvoll
Neben den TÜ ist aber vor allem das Schwimmen in verschiedenen Lagen, in unterschiedlichen Intensitäten und in verschiedenen Trainings- und Wettkampfanforderungen entscheidend für die Entwicklung der komplexen Empfindung des Wassergefühls. Fordern Sie sich und nutzen Sie auch Momente der physischen Schwäche (z.B. im Training) als willkommene Gelegenheit, dem Wasserdruck mit weniger Energie und Kraft zu begegnen – das könnte Ihr Verhältnis nochmals mit neuen Impulsen versehen und Sie spüren lassen, wie Ihre Liebe zum Wasser nach und nach weiter an Qualität gewinnt.
Und hier der Trainingsplan zum Thema: