Polarisierendes Training: Locker oder hart – alles andere bringt nichts?
Entweder locker oder richtig hart
Das Prinzip des Polarized Trainings
Diese Situation kommt Ihnen bestimmt bekannt vor. Man startet, oft sogar unter Zeitdruck, zu einer Trainingseinheit ohne rechte Idee, was man erreichen will. Man fängt meistens verhalten an und ehe man sich versieht, kommt man dem Trainingsende näher. Also schnell noch die Intensität kurzfristig angehoben, um wenigstens zum Ende hin noch einmal richtig außer Atem zu geraten. Denn schließlich hat man nur dann das Gefühl, „ordentlich“ trainiert zu haben.
Da sind Sie schön in die Falle getappt, würde der Sportwissenschaftler Stephen Seiler zu Ihnen sagen. Voll hinein in das Black Hole Training, wie es der amerikanische Forscher nennt. Langsame Einheiten werden seiner Erfahrung nach nämlich meistens zu intensiv absolviert und intensive Einheiten aufgrund der fehlenden Frische mit reduzierter Leistung und Wirkung.
Formschwäche des Olympiasiegers
Ausgangspunkt dieser Beobachtungen war eine anhaltende Formschwäche des norwegischen Olympia-Medaillengewinners Olaf Tufte. Der Ruderer litt, obwohl er sein Training scheinbar optimal durchführte, unter einem unerklärlichen Leistungseinbruch. Auch die Untersuchung seiner physiologischen Werte ließ keine Hinweise auf eine Erkrankung erkennen. Bis Seiler, zu dem Zeitpunkt an der Universität in Kristiansand beschäftigt, erkannte, dass Tufte einen neuen High-Tech-Ruderergometer für seine regenerativen Trainingseinheiten nutzte. Offenbar war der Sportler von seinem neuen Sportgerät derart begeistert, dass er im Überschwang der Freude in einem höheren, als dem vorgesehenen regenerativen, Intensitätsbereich trainierte.
Damit war Tufte für die Schlüsseleinheiten nicht mehr ausreichend erholt und konnte die erforderlichen Intensitäten nicht mehr mobilisieren. Dieser anhaltende Zustand beförderte ihn geradewegs in eine Formschwäche, die sich auflöste, nachdem man das Übel identifiziert hatte und das Trainingsregime genauer kontrollierte. Tufte konnte noch im selben Jahr Weltmeister werden und gewann in Athen und Peking die Goldmedaille im Einerrudern.
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Trainingsbereiche meiden
Doch wie definiert man nun den offenbar zu meidenden Trainingsbereich für die eigene Praxis? Seiler sieht den kritischen Punkt im Herzfrequenz-Bereich der anaeroben Schwelle zuzüglich sechs Prozent. Dieses Schema nahm Seiler auch als Grundlage für eine Untersuchung an 12 spanischen Läufern nationaler Klasse, die er zusammen mit dem Lauftrainer Jonathan Esteve-Lanao über einen Zeitraum von fünf Monaten vornahm. Eine Gruppe absolvierte einen größeren Teil des Trainingsvolumens, nämlich 25 Prozent, im Black-Hole-Bereich, während die zweite Gruppe nur 12 Prozent auf das Training in diesem Bereich verwandte. Das Ergebnis war überzeugend.
Im abschließenden 10-Kilometer-Lauf, verbesserten sich die Läufer der zweiten Gruppe, diejenigen die deutlich akzentuierter trainierten, um 36 Sekunden mehr als im Vergleich zur ersten Trainingsgruppe. Carl Foster, Sportwissenschaftler an der Universität von Wisconsin und Mitglied mehrerer Forschungsgruppen zu dieser Thematik, fasste das Phänomen in dem Begriff des Polarized Trainings zusammen:
„It’s simple. If you want to be your best, go hard and go easy,“ sagt Foster, „and don’t go in the middle.“
Passende Methoden finden
Mit diesen Erkenntnissen des polarisierenden Trainings gewinnen zwei Trainingsmethoden an Wichtigkeit im Ausdauersport. Auf der einen Seite wird das Intervalltraining für sehr intensive Anforderungen oberhalb der zu vermeidenden Zone das Haupttrainingsmittel sein. Nur die Verbindung aus hoher Intensität und längeren Pausen erlaubt es, die gewünschten Anpassungen zu erzielen. Und auf der anderen Seite wird das sehr gleichmäßige Dauertraining die ideale Ergänzung sein, um sowohl die Grundlagenausdauer zu schulen wie auch regenerative Prozesse im Organismus einzuleiten.
Doch gelten diese Erkenntnisse, die an Leistungssportlern ermittelt wurden, auch für den durchschnittlichen Hobbysportler?
Trainingsmethode für alle
Die Frage kann mit einem Ja beantwortet werden. Denn oftmals ist das sehr gleichmäßige Training ein limitierender Faktor in der Leistungsentwicklung sowohl von Profi- wie auch Hobbysportlern. Zwar hat der professionelle Sportler insgesamt deutlich mehr verfügbare Zeit für das Training, doch gerade bei knappem Zeitbudget muss die Suche nach einem effektiven Trainingssystem natürlich ebenfalls an erster Stelle stehen.
Erfahrene Sportler können höhere Anteile intensiven Trainings verkraften. Tatsächlich sind Anteile von 10-15 Prozent des Trainings im intensiven Bereich sogar unerlässlich, um weitere Leistungssprünge ohne spektakuläre Erhöhungen des Gesamtumfangs zu realisieren. Und für „alte Schwimm-Hasen“ könnte das Modell des Polarized Trainings den Bruch mit alten Gewohnheiten bedeuten.
Noch mehr Informationen und wie man die Trainingsbereiche am besten individuell definiert, finden Sie hier im weiterführenden Artikel >> KLICK!
Und so könnte eine Trainingseinheit in der Praxis aussehen