Training & Wettkampf

Frontquadrant-Technik: Analyse und Voraussetzungen Teil 2/2

Bedarf es besonderer Voraussetzungen für diese Technik?

Manchmal sieht es aus wie Frontquadrant, ist es aber vielleicht gar nicht

Dies ist der zweite Teil zum Thema „Frontquadrant-Technik“ (KLICK zu Teil 1). Zum besseren Einstieg wiederholen wir hier den letzten Absatz aus Teil 1.

Ist es wirklich ein „Liegenlassen“ auf beiden Seiten? 

Sieht man sich die Parallelität der Zugbewegungen an, so ist erkennbar, dass die Schwimmer vor allem dann zu einem langen Liegenlassen des Stützarms neigen, wenn sie zur Atmung kommen. Der Atemvorgang ist immer ein störendes Element, wenn es um die optimale und strömungsgünstigste Position im Wasser geht. Das ist auch ein Grund, weshalb die 50-Meter-Sprinter versuchen, ihre Rennen mit möglichst wenig Atemzügen durchzuführen.

Täuschen uns die Bilder womöglich?

Sie tun das nicht, weil sie nicht atmen müssten, sondern weil jede Drehung des Kopfes zu einer Rhythmusänderung einhergehend mit einem leicht steigenden Wasserwiderstand führt. Abgesehen von seiner Notwendigkeit, ist der Atemvorgang biomechanisch betrachtet eine Störung der optimalen Wasserposition. Addierend dazu erzwingt das Seitwärtsdrehen des Kopfes und das Einatmen auch eine zeitliche Verzögerung auf der jeweiligen Seite. Misst man den zeitlichen Aufwand für einen kompletten Zug, so ergibt sich immer ein leichter Unterschied zwischen linkem und rechtem Armzug.

In der visuellen Wahrnehmung kann sich deshalb schnell ein falsches Bild einschleichen.

So ist auch bei Schwimmern wie Michael Phelps, Katie Ledecky oder auch Paul Biedermann zu erkennen, wie der der Atmung gegenüberliegende Arm länger in der Stützposition verbleibt, um den Atemvorgang, also das Drehen und vielleicht auch ganz leichte Aufstellen des Kopfes, zu unterstützen. Auf der Nichtatemseite ist diese Beobachtung nicht zu machen. Der linke und rechte Arm benötigen demzufolge unterschiedlich lange Zeiten, um einen kompletten Zug zu realisieren. Es handelt sich folgerichtig, gemäß der Definition, nicht um die Frontquadrant-Technik. Es handelt sich streng genommen, um eine individuelle Adaption, die durch den Atemvorgang erzwungen wird.

Lupenreine Frontquadrant-Technik sichtbar?

Gibt es denn nun die lupenreine Frontquadrant-Technik? Ja, es gibt sie. Und auch in ihrer Durchführung gibt es interessante und wichtige Details, die Ihre mögliche Frage beantworten könnte, ob sich eine Modifizierung Ihrer aktuellen Schwimmtechnik lohnt oder nicht.

Die zweite Betrachtung widmet sich nun der koordinativen Abfolge beider Arme hinsichtlich ihrer Vortriebsaktionen.

In diesem Fall wird die Konzentration darauf gelenkt, wann der Zugarm mit seiner Vortriebstätigkeit beginnt. In der genauen Betrachtung der koordinativen Zusammenhänge wird deutlich, dass der Arm fast genau in dem Moment mit der Zugphase beginnt, in welchem der vorherige Zugarm die Druckphase beendend das Wasser verlässt. Dies ist erstaunlich, da ein eingeschränkter Eindruck zur Täuschung werden kann.

Werden bei dieser Analyse nämlich ausschließlich die beiden vorderen Quadranten betrachtet, könnte man annehmen, der Schwimmer würde eine verlängerte Gleitphase produzieren. Tatsächlich liegt die Ursache dafür, dass beide Arme zu einem kurzen Zeitpunkt in den vorderen Quadranten sichtbar sind darin, dass der vorschwingende Arm in sehr kurzer Zeit nach vorne gebracht wird.

Schnelle Überwasserphase als Voraussetzung

Eine sehr schnelle Überwasserphase ist deshalb die Voraussetzung für die erfolgreiche Umsetzung des Frontquadrant-Schwimmens, wie es die Spezialisten vormachen. Denn nur dann ergibt sich auch weiterhin ein gleichmäßiges Zugmuster. Probieren Sie das einmal bewusst aus und Sie werden schnell spüren, wie anspruchsvoll diese Technik ist.

Die Videoaufnahme und die exakte biomechanische Analyse sind die zwingende Voraussetzung, um die entscheidenden Voraussetzungen zu identifizieren. Sei es in der Vorlage eines Spitzenschwimmers oder der eigenen Ausführung. Denn häufig täuscht der erste optische Eindruck, wenn man sich zu sehr auf einen Teilbereich konzentriert. Deshalb ist der Begriff Frontquadrant als Beschreibung durchaus korrekt, er erfasst jedoch nicht alle Aspekte.

Bedingung: Überragende Beinarbeit 

Hinzu addieren sich weitere Aspekte, die für das erfolgreiche Einsetzen der Technik vorteilhaft sind. Neben einer sehr gut ausgeprägten Beweglichkeit im Schultergürtelbereich, die das schnelle Vorschwingen der Arme unterstützt, ist eine wirkungsvolle Beinarbeit eine wertvolle Hilfe, um die Wasserlage zu stabilisieren. Von Ian Thorpe weiß man beispielsweise, dass er die 100 Meter Kraulbeinarbeit mit Schwimmbrett in der Vorhalte um 60 Sekunden schnell schwamm. Eine herausragende Teilleistung, die auch bei anderen Schwimmern zu beobachten ist. So schwamm Sarah Sjöström bei einem Einladungswettkampf die 100 Meter Kraulbeine mit Wandabstoß ebenfalls in beeindruckenden 1:09,88 Minuten.

Ist Frontquadrant eine Elite-Technik?

Somit addieren sich doch einige sehr spezielle Fähigkeiten, die die unbedingte Voraussetzung darstellen, die Frontquadrant-Technik erfolgreich umzusetzen. Dabei spielen weniger die absoluten Zahlen eine Rolle, sondern für Sie selber eher die relative Leistungsfähigkeit. Für eine Umstellung oder vielleicht auch Modifikation sind Übungen empfehlenswert, die zunächst darauf abzielen, die Überwasserphase schnell, schwungvoll und aktiv durchzuführen. Denn genau hier, beim Vorschwingen der Arme, entscheidet sich, wie schnell der kommende Zugarm in die Stützposition gelangen kann, um die Wasserlage zu stabilisieren.

Index of Coordination

Auch wenn die Rückholphase vor allem der Erholung dienen soll, so könnten Sie tatsächlich genau hier die Voraussetzung dafür schaffen, früher in den nächsten Zug zu kommen. Didier Cholett entwickelte 2003 auf der Grundlage seiner Beobachtungen und Untersuchungen den Index of Coordination (IdC). Der Biomechaniker und Professor an der Universität Rouen beschreibt, dass es bei einem zu langen Warten des Zugbeginns zu einem Geschwindigkeitsabfall käme und der IdC deshalb im negativen Bereich läge.

Der Versuch, übermäßig lange zu gleiten führe demzufolge immer zu einem Tempoabfall. Diese intrazyklische Temporeduzierung sei zwar schwer mit dem Auge wahrnehmbar aber klar messbar. Anzustreben sei jedoch eine möglichst ausgeglichene Antriebsleistung mit wenigen Tempounterschieden, also einer gleichmäßig verlaufenden Geschwindigkeitskurve ohne übermäßige Berge und Täler. Im Idealfall liegt der IdC dann bei Null, einige wenige Athleten würden sogar einen positiven IdC erzeugen, so der französische Wissenschaftler.

Letzteres ist vor allem bei Sprintschwimmern sehr gut zu beobachten. Deren Streben nach der absoluten Höchstgeschwindigkeit ist abhängig davon, wie schnell sie die nächste vortriebsrelevante Aktion, also den nächsten Unterwasserzug, generieren können. Ganz simpel formuliert gilt: je länger die Überwasserphase dauert desto mehr verzögert sich die Zeitspanne bis zum nächsten Zug. Oder noch weiter herunter gebrochen: Überwasser wird kein Schwimmtempo erzeugt.

Probieren Sie es im Training doch einmal aus. Womöglich werden Sie unverzüglich merken, wie das Zugmuster mehr Dynamik entwickelt, sie die Frequenz ein wenig nach oben hin korrigieren können und schlussendlich sogar das Tempo verbessern können. Wie immer gilt es, ganz individuell zu ermitteln, ob ein Vorteil mittels einer Technikänderung zu verzeichnen ist. Nehmen Sie sich für diesen Prozess ruhig etwas Zeit. Denn fest steht: einen Versuch ist es immer wert.