Polarized Training im Schwimmsport – Teil 1/2
Polarized Training – das Entweder-Oder-Prinzip
Eine hohe Trainingsleistung ist nur dann möglich, wenn man auch ausgeruht ist. Viele Profis bereiten sich deshalb sehr gezielt auf das intensive Training vor – indem sie zuvor ausgiebig im lockeren Bereich trainieren. Das Prinzip dahinter: Polarized Training.
“It’s simple. If you want to be your best, go hard and go easy. And don’t go in the middle“, sagt Carl Foster, Sportwissenschaftler an der Universität von Wisconsin. Damit ist das Prinzip des Polarized Training kurz und knapp zusammengefasst. Oder wie es Stephen Sailer, Wissenschaftler an der norwegischen Universität in Agder formuliert: „Im Prinzip gibt es nur drei Trainingsbereiche, nämlich grün, gelb und rot.“ Und er geht noch weiter in seinen Ausführungen und behauptet, das häufig anzutreffende Trainingsmotto „no pain no gain“ wäre sogar kontraproduktiv, da es wichtige physiologische Prozesse nicht ausreichend berücksichtige. Interessante Vorgaben, um noch etwas tiefer in diese Materie einzusteigen. Denn Sailer behauptet auch: „Wer nach dem Prinzip der Polarisierung trainiert, trainiert wie die besten Athleten der Welt. Und das können Sportler jeder Leistungs- und Altersklasse so machen.“
Das neue Erfolgsrezept?
Und tatsächlich hört man immer häufiger von diesem Prinzip, als ein wesentliches Erfolgsrezept. So weisen Experten die enorme Erfolgsbilanz der niederländischen Eisschnellläufer in den vergangenen Jahren den klar strukturierten Trainingsbereichen zu. Spektakulär sind auch die Erfolge der norwegischen Triathleten und anderer Ausdauersportler, die sich strikt an die Vorgaben halten, die nicht nur Stephen Sailer in seinen Veröffentlichungen darlegt.
Er behauptet, wenn Training einfach nur hart und am Rande der individuellen Möglichkeiten durchgeführt wird, wie es viele Jahrzehnte der Fall war, würde am Ende eine Überforderung des Athleten stehen müssen. Das bedeute „too much pain for too little of gain.“ Kurz gefasst, würden Sportler viel zu häufig unter enormen aber eben doch nicht maximalen Trainingsstress stehen und somit folgerichtig unter dauerhafter Ermüdung leiden. Dies behindere den Entwicklungsprozess.
Verpasste Goldmedaille durch Quantität statt Qualität?
Ausgangspunkt dieser Beobachtungen war eine anhaltende Formschwäche des norwegischen Olympia-Medaillengewinners Olaf Tufte. Der Ruderer litt, obwohl er sein Training scheinbar optimal durchführte, unter einem unerklärlichen Leistungseinbruch. Auch die Untersuchung seiner physiologischen Werte ließ keine Hinweise auf eine Erkrankung erkennen. Bis Seiler, zu dem Zeitpunkt an der Universität in Kristiansand beschäftigt, erkannte, dass Tufte einen neuen High-Tech-Ruderergometer für seine regenerativen Trainingseinheiten nutzte. Offenbar war der Sportler von seinem neuen Sportgerät derart begeistert, dass er im Überschwang der Freude in einem höheren, als dem vorgesehenen regenerativen, Intensitätsbereich trainierte.
Damit war Tufte für die Schlüsseleinheiten nicht mehr ausreichend erholt und konnte die dort erforderlichen Intensitäten nicht mehr mobilisieren. Dieser anhaltende Zustand beförderte ihn geradewegs in eine Formschwäche, die sich auflöste, nachdem man das Übel identifiziert hatte und das Trainingsregime genauer kontrollierte. Tufte konnte noch im selben Jahr Weltmeister werden und gewann in Athen und Peking die Goldmedaille im Einerrudern.
Nun werden Sie vielleicht entgegnen, dass Spitzensportler viel höhere Trainingsumfänge realisieren müssen und deshalb zwangsläufig an der Grenze zur Überlastung stehen. Sind Sie beispielsweise als Jugend- oder Mastersschwimmer überhaupt von dieser permanenten Gefahr bedroht? Wohl schon, denn dort, wo sich der Spitzensportler zu einem Mittagsschlaf in die regenerative Phase begibt, stehen Sie täglich in der Schule, im Studium, im Beruf oder auch in der Familie in der Verantwortung. Von Erholung darf hier nicht gesprochen werden. Im Training könnte dann das folgende Szenario auftreten.
Dem Übertraining entgegenwirken
Gerade wenn Sie unter derartiger mentaler Vorermüdung in das Training gehen und dort hohe Intensitäten gefordert sind, könnte es passieren, dass Sie entweder nicht die erforderliche Leistung abrufen können oder aber sich überfordern. Somit könnte einerseits die Intensität nicht erreicht werden, die zur physiologischen Anpassung notwendig wäre oder, im zweiten Falle, die latente Gefahr der Überforderung, im späteren Verlauf sogar des Übertrainings entstehen. Fast schon widersprüchlich. Sie trainieren weniger als ein Spitzenathlet, sollten aber vielleicht noch genauer hinsehen, wie Ihr persönliches Umfeld und die dortigen Anforderungen Ihre Trainingsleistung beeinflussen. Hier könnte die strikte Anordnung nach dem Ampelprinzip durchaus hilfreich sein.
Das Ampel-Prinzip
Die Empfehlung lautet, die Trainingsintensitäten in drei große Ampel-Bereiche aufzuteilen, um sie klar voneinander zu trennen.
Grün: Leichtes Training im Grundlagen- oder regenerativen Bereich
Gelb: Irgendwo zwischen leicht und hart
Rot: Hartes Training mit submaximaler bis maximaler Intensität
Interessantes Thema, dem wir uns noch weiter widmen wollen.
Deshalb gibt es in wenigen Tagen eine Fortsetzung. Der Link folgt hier! Oder gleich rechts in den Newsletter eintragen.
Und hier der Trainingstipp: Trainingsplan 78 – Polarized Training
Man kann das Prinzip des Polarized Training auch in kleine Stücke zerlegen. Nämlich in die kleinste Einheit der Trainingsplanung, der Trainingseinheit. In Trainingsplan 78 haben wir genau das getan. Viel Spaß mit dem Video zum Plan!
Von Holger Lüning