Training & Wettkampf

Gute Schwimmer gleiten nicht?

„Gute Schwimmer gleiten nicht“, behauptet die ehemalige US-Olympionikin Sheila Taormina in ihrem Buch „Kraulschwimmen wie die Profis“. Das klingt durchaus provokativ. Und doch trifft sie damit einen oft diskutierten Punkt in Schwimmerkreisen auf den Punkt. Wird das Gleiten im Schwimmen überschätzt? Wir schauen uns das mal genauer an.

Begriffsdefinition Gleiten

Zunächst soll der Begriff des Gleitens in diesem Zusammenhang geklärt werden. Das Gleiten beschreibt im Schwimmen eine Phase ohne aktiven Vortrieb durch die Arme, womit die Schwimmgeschwindigkeit keinen weiteren Zugewinn  durch die Armtätigkeit erlangt. In diesem Beitrag ist vom Kraulschwimmen die Rede, da die Koordination in den anderen drei Schwimmarten, insbesondere beim Brustschwimmen wie auch Schmetterlingsschwimmen (d.h. den Gleichschlag-Schwimmarten), eine Phase des Gleitens durchaus erfordern kann.

Warum spielt das Thema Gleiten in so vielen Gesprächen, Internetforen und Trainingscamps eine tragende Rolle? Wahrscheinlich weil sich besonders die vielen Seiteneinsteiger und Triathleten das visuelle Beispiel der Top-Athleten heranziehen. Und das, was man über der Wasseroberfläche zu sehen bekommt, wirkt nun mal derart leicht und schwungvoll, dass das Gleiten der richtige Ansatzpunkt sein muss, um die eigene Technik zu optimieren. Dabei spielt die Unterwasserphase, als aktive Vortriebsphase, die weitaus entscheidendere Rolle. Leider sieht man diese Momente aber nur sehr selten. Verwirrung entsteht.

Gleiten ein wenig wie Nichtstun

Und vielleicht spielt noch ein Argument eine Rolle. Gleiten bedeutet ja auch „nichts zu tun“ bzw. „sich auszuruhen und zu gleiten“ oder aber „mit wenigen Zügen viel erreichen zu können“. Der Reiz durch Passivität und Energieersparnis sogar an Tempo zuzunehmen, klingt einfach sehr verlockend. Ein perfektes Verkaufsargument für das „Produkt Gleiten“. Doch vergisst man dabei gerne einen ganz wichtigen Aspekt: wo kein Tempo, da kein Gleiten möglich! Deshalb steht der Ansatz der Tempoerzeugung und der Widerstandsoptimierung immer weit über der Thematik des Gleitens.

Nehmen wir uns den Skilanglauf oder das Eisschnelllaufen als Beispiel. Auch dort gibt es Phasen des Gleitens. Doch niemand wird ernsthaft bezweifeln, dass dies auch ohne den enormen Antrieb möglich wäre. Tatsächlich ist die Gleitphase sogar nicht einmal übermäßig lang, weil es im Leistungssport auch darum geht, sich ökonomisch zu bewegen. Nur, wenn sich die Geschwindigkeitskurve relativ konstant und ohne große Ausschläge nach oben und unten darstellt, kann eine Leistung über eine längere Dauer realisiert werden. Oder sehen Sie Skilangläufer die nach einem Doppelstock-Einsatz viele Meter gleiten, um sich erst bei deutlich nachlassendem Tempo mit dem nächsten fulminanten Stockschub zu beschleunigen? Natürlich nicht!

Antrieb steht immer vor dem Gleiten

Stellt man die Phase des Gleitens in ihrer Bedeutung und Länge nun über die Phase des Antriebs, so verliert der Schwimmer an Tempo und muss sich in der folgenden Antriebsphase mit viel Aufwand neu beschleunigen. Energetisch ein ungünstiges Szenario, welches auch keine optimale Tempoausbeute ermöglicht. Trainiert man das Gleiten im Übermaß, trainiert man sich vor allem eine Fähigkeit an: die des langsamen Schwimmens.

Ein effektiver Antrieb, also die Unterwasserzug, ist deshalb das wichtigste Kriterium des Schwimmens. In der Reihenfolge dahinter rangiert die Wasserlage. Die Gleitphase ergibt sich aus der Optimierung der erstgenannten Parameter.

Insofern kann man sich als Schwimmer entspannen und die dauerhaften Versuche, das Becken mit immer wenigen Zügen zu durchschwimmen, durchaus reduzieren und allenfalls als Kontrollmethode einsetzen. Und Kontrolle bedeutet immer auch die Ermittlung der erzielten Zeit, da ansonsten eine qualitative Aussage schlicht unmöglich ist!

Kraft und Tempo sind entscheidend

Vortrieb im Wasser hat also viel mehr mit einem kräftigen Abdruck zu tun als mit langen Gleitphasen. Ohne spezifische Kraft ist alles nichts. Kümmern Sie sich also vielmehr um die Entwicklung der schwimmspezifischen Muskulatur. Damit erhöhen Sie die Hebelkraft und folglich das Schwimmtempo. Arbeiten Sie innerhalb Ihrer Trainingseinheit zusätzlich an stabilisierenden Elementen (z.B. Beinarbeit in Seitenlage), wird sich auch die Wasserlage zwangsläufig verbessern. Und da die Wasserlage nach den hydrodynamischen Regeln mit steigender Geschwindigkeit ohnehin höher wird, setzen Sie mit diesen Trainingsschwerpunkten auf die richtigen „Big Points“.

Und vergessen Sie bei der Beobachtung von Spitzenschwimmer nie, dass Sie das, was schnelles Schwimmen ausmacht, eigentlich gar nicht sehen können. Das ist nämlich die harte Arbeit, die Unterwasser verrichtet wird – das Ergebnis vieler tausend Trainingskilometer.

Kurze Impulse auf das Wasser bringen das Tempo

Denn nur, wenn der Druck kurz und kräftig ist, wird aus dem flüssigen Medium Wasser etwas Hartes, das Sie als Abdruckfläche nutzen können. Oder um es in einem Beispiel zu verdeutlichen: Machen Sie einmal einen Bauchplatscher aus einem Meter Höhe und wiederholen Sie den Vorgang aus zehn Metern Höhe. Das Wasser ist eigentlich das Gleiche. Doch je kürzer, d.h. schneller, und kräftiger Sie auf das Wasser aufschlagen desto härter wird es. In diesem Falle zwar schmerzhaft. In der Unterwasser beim Schwimmen jedoch genau das, was uns Abdruckmöglichkeiten eröffnet.

Nehmen Sie deshalb eine aktive Rolle ein. Trennen Sie sich vom Gedanken „ich muss besser gleiten“ und schreiben Sie sich ein neues Motto in Ihr Trainingstagebuch:

Ich will mich besser abdrücken und schneller vorwärts kommen!

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