Made for swimming? Die optimalen Hebel, Teil 2/2
Praktisch: Die Hebel sind schon am Körper montiert
Der Einsatz von Tragfläche und Hebel
Dies ist der zweite Teil zum Thema „Anatomie eines Schwimmers – made for swimming“.
Im ersten Teil ging es um die Themen Ape-Index (der Affen-Index als wichtiger Parameter zur Bestimmung der Eignung und des Talents) und dem Tragflächen-Prinzip des eigenen Oberkörpers. Deshalb empfehlen wir zunächst, diesen Einstieg ins Thema zu lesen. Schon geschehen? Dann weiter im Text!
Langer Unterarm ist von Vorteil
Gehen wir noch weiter in die Tiefe der wissenschaftlichen Erkenntnisse, so wandert der Blick auf die Antriebshebel, die Arme. Ähnlich wie Kolben in einem Motor, hat man auch hier erkannt, dass ein tendenziell längerer Unterarm im Verhältnis zum Oberarm Vorteile mit sich bringt. Kennen Sie den geflügelten Begriff des „Ellenbogenstellens“? Nun wird deutlich, weshalb ein langer Unterarm Vorteile bringen kann. Einerseits durch eine größere Hebelwirkung, auf der anderen Seite durch eine größere Antriebsfläche.
In derselben Untersuchung aus dem Jahr 2018 untersuchten die Wissenschaftler zudem Hände und Füße. Neben der eindeutigen Aussage, je größer je besser der Vortrieb, erkannten sie weitere Eigenschaften. So sind schmale, aber lange Hände noch vorteilhafter als kurze, aber breite Hände – auch wenn sie womöglich dieselbe Fläche haben. Gleiches gilt für die Füße.
Zeitvertreib der Wissenschaft?
Wie Sie sehen, sind solche Erkenntnisse kein Zeitvertreib der Wissenschaft, sondern eine wichtige Grundlage, ja man könnte fast sagen Blaupause, für die Sichtung von Talenten. Ganz egal, von welcher Sportart wir sprechen. Es gibt ihn, den Idealtypus.
Ist nun also die Bauart festgelegt und die Konfiguration abgeschlossen, können wir in den nächsten Entwicklungsschritt gehen. Nun geht es um die konditionellen Fähigkeiten, Kraft, Ausdauer, Schnelligkeit und Beweglichkeit. Da auch hier viele Anteile und Ausprägungen bereits genetisch festgelegt sind, darf man auch hier behaupten: manche haben es, andere werden es niemals in dem Maße entwickeln können. Das ist eine Erkenntnis, die nicht immer leicht zu verkraften ist. Doch es ist die harte Realität.
Die konditionellen Fähigkeiten
Insbesondere die Fähigkeit der Beweglichkeit ist schon allein durch die Form der Gelenke, Gelenkkapseln und andere Strukturen aus der Umgebung der Gelenke vorgegeben. Sicherlich kennen Sie auch Sportler, die unglaubliche Dinge vollbringen, wenn es in das Beweglichkeitstraining geht. Und wer sich einmal zurück erinnert an die jungen Wettkampfjahre, der wird eine interessante Feststellung machen können. Die besten Schwimmer in jungen Jahren waren fast immer auch diejenigen, die am beweglichsten im Schultergürtelbereich waren. Welcher Effekt steckt dahinter?
Das Vortriebsmodel optimal einsetzen
Die Armbewegung aus dem Schultergelenk ist im Prinzip das Vortriebsmodell im Schwimmen. Jede einzelne Bewegung dient im Endeffekt der Erzeugung von Vortrieb in der Unterwasserphase. Ahmen Sie diese Bewegung doch einmal an Land nach und Sie werden deutlich erkennen, wieviel Unruhe Sie nicht nur im Oberkörper sondern womöglich über den gesamten Körper verteilt erzeugen. Stellen Sie sich nun vor, es würde die Möglichkeit des festen Stands entfallen, der Ihnen die Möglichkeit gibt, dieser Unruhe entgegenzuwirken. Denn genau das passiert im Wasser. Dort haben Sie keine Verankerung, weshalb jede einzelne Armbewegung zu Unruhe in der Wasserlage führt. Nun erklärt sich der Vorteil einer überdurchschnittlichen Beweglichkeit. Je höher die Beweglichkeit im Schultergelenk ist, desto isolierter erfolgt die Armbewegung und umso weniger wird die Wasserlage negativ beeinflusst. Die Folge? Weniger Wasserwiderstand, mehr Auftrieb und höheres Tempo.
Leistungssteigerung durch Beweglichkeitstraining
Demnächst: Siehe Tipp 82 „Trapezius – der wichtige Muskel“
Hier können Sie ein wirkungsvolles Instrument zur Leistungssteigerung ansetzen. Intensivieren Sie das Beweglichkeitstraining und Sie werden nicht nur weniger tempohemmende Rumpfbewegungen erzeugen, sondern auch die Technik in der Über- wie auch Unterwasserphase effizienter umsetzen können. Stellen Sie sich zur Verdeutlichung ein Extrembeispiel vor. Hätten Sie die Schwimmtechnik rein kognitiv zu 100% korrekt abgespeichert, wären aber extrem unbeweglich im Schultergürtelbereich, so würde Ihnen das reine Wissen kaum einen Nutzen bringen. Nutzen Sie also die Chancen, die sich durch ein spezifisches Beweglichkeitstraining bieten. Es wird sich lohnen!
Bauen wir unseren Idealschwimmer weiter, so geht es im nächsten Schritt an die Motorleistung. Auch hier spielen viele genetische Voreinstellungen eine entscheidende Rolle. So sind die Verteilung und das Verhältnis von schnell zu langsam zuckenden Muskelfasern bereits bei Geburt mehr oder weniger festgelegt. Eine Umkehr des Verhältnisses ist nur in sehr begrenztem Ausmaß möglich. Somit wird ein Mensch, der überwiegend langsam zuckende Muskelfasern aufweist, niemals in der Lage sein, ein überragender Sprinter zu werden. Umgekehrt natürlich genauso. Dessen muss man sich bewusst sein. Dies kann von einem geschulten Experten oftmals schon durch Beobachtung erkannt werden. Die Aufgabe besteht demzufolge auch darin, einem Sportler die Information zu geben, die ihn in die Sportart oder auf die Strecke bringen, wo er individuell die besten Leistungen erzielen kann.
Und was dann? Da gäbe es noch den Mentalmuskel
„Und was ist, wenn ich all diese Faktoren nicht mit in die Wiege gelegt bekommen habe?“, werden Sie sich nun vielleicht fragen. Glücklicherweise gibt es immer Ausnahmen von der Regel und Menschen, die beweisen, dass jede Regel individuell abgeändert werden kann. Vor allem dann, wenn man die folgenden drei Fähigkeiten in die Waagschale wirft: Leidenschaft, Disziplin und den Willen, das Maximum zu erreichen. Dieser „Mentalmuskel“ ist womöglich der stärkste von allen und kann Berge versetzen. Und das Beste daran? Er ist trainierbar. Eine gute Nachricht, denn am Ende entscheiden diese Fähigkeiten darüber, ob der virtuell zusammengesetzte beste Schwimmer der Welt überhaupt in seine maximalen Leistungsbereiche vordringen kann. Schafft er das nicht, haben Sie nämlich eine realistische Chance, ihn hinter sich zu lassen!