Training & Wettkampf

Sprinttraining: Wie hoch darf der Umfang sein?

Wie viele Meter muss (darf) ein Sprinter im Training schwimmen?

Muss ein Sprinter für eine Leistung, für die er eine halbe bis eine Minute benötigt, wirklich viele Kilometer im Wasser zurücklegen? Wir blicken in die verschiedenen Theorien.

Von Holger Lüning

Es ist fast egal, in welche Lebensbereiche man blickt. Fast immer ist die Phase des Lernens, Übens und Trainierens länger als die Zeitspanne der eigentlichen Leistungserbringung. Ganz gleich, ob man für eine Abschlussklausur büffelt, sich auf eine Turnübung vorbereitet oder einen kurzen Sprint im Wettkampf absolviert. Die Zeit der Vorbereitung liegt in ihrem Umfang weit über der Leistungszeit – was die Frage aufwirft, weshalb das so ist. Oder anders: muss das zwingend so sein?

Blicken wir in den Schwimmsport, so findet man die kürzesten Wettkampfdistanzen auf den Strecken 50 und 100 Meter. Beide Strecken werden weitläufig als die Sprinterstrecken bezeichnet, da hier die Fähigkeit der Grundschnelligkeit ein wesentliches Merkmal für überdurchschnittliche Leistungen ist. So entsteht schnell die Meinung, dass die Spezialisten über diese Strecken Sprinter sein müssen. Vergleicht man die Leistungsdauer mit Strecken aus der Leichtathletik verschiebt sich diese Ansicht vielleicht etwas.

100 Meter im Wasser gleich eine Stadionrunde

So sind zeitlich die 50 Meter im Schwimmsport analog zu den 200 Metern auf der Tartanbahn und die 100 Meter im Becken mit der großen Stadionrunde über 400 Meter gleichzusetzen. Die Belastungszeiten im Spitzenbereich liegen nahezu deckungsgleich bei 20-25 bzw. 45-55 Sekunden je nach Disziplin. Nun ist ein 400m-Läufer aber sicherlich kein lupenreiner Sprinter, wie es ein Usain Bolt beispielsweise ist, um in der Leichtathletik zu bleiben. Dieser würde bei einem Versuch über 400 Meter gegen die dortigen Spezialisten keine Chance haben, obwohl er über die besten Speedqualitäten verfügt. Insofern ist es doch gar nicht so einfach, die Kurzstreckenschwimmer in die allgemeine Sprinter-Schublade des Sports zu stecken.

Schließlich kann es dann ganz schnell zu einem Missverständnis hinsichtlich des optimalen Trainings kommen. Die Diskussion, wie viele Schwimmmeter ein Kurzstreckenschwimmer im Training benötigt, um optimale Leistungen im Wettkampf zu erbringen, gehen dann schon einmal weit auseinander. Objektive Parameter helfen hier, die Leistungen etwas klarer einzuordnen und sich den Weg durch das Dickicht der Trainingsempfehlungen zu bahnen.

Kleines Energiedepot

Die Stoffwechselprozesse sportlicher Leistungen sind ausreichend erforscht, um die Rekrutierung der Energie einzugrenzen. Die Leistung, die ein Usain Bolt realisieren muss, gibt es im Wettkampfschwimmen nicht. Kurzzeitige Schnelligkeitsleistungen über eine Dauer von maximal zehn Sekunden Länge, deren benötigte Energie aus dem anaerobem Verbrauch von Kreatinphosphat und Adenosintriposphat (ATP) ohne nennenswerte Bildung von Milchsäure (Laktat) gewonnen wird, sind allenfalls als 25-Meter-Spurt im Pool zu finden.

Sieht man sich die 50-Meter-Distanz genau an, so kommt es zu einer Vermischung der Energiebereitstellung im anaeroben Bereich, d.h. eine Leistung die auch ohne die Nutzung des Sauerstoffs geleistet werden kann. Die sukzessive Bildung von leistungshemmendem Laktat spüren Sie selber, wenn Sie einen Spurt über diese Distanz absolvieren. Es ist nicht möglich, bei einer maximalen Belastung, die Leistung gleichmäßig bis zum Anschlag hin aufrechterhalten zu können. Das Limit ist hier bereits erkennbar.

Stoffwechsel verschiebt sich

Auf der doppelten Distanz, den einhundert Metern, ist dieser Effekt noch deutlicher spürbar. Nur noch 10% der benötigten Energie kommt aus den Depots, die Usain Bolt für seine Sprintleistung rekrutiert. Die Beanspruchung des Stoffwechsels verschiebt sich für den 100-Meter-Schwimmer deshalb immer mehr in Richtung der Schnelligkeitsausdauer. Zwar steckt hier nach wie vor der Begriff der Schnelligkeit in der Bezeichnung, ausschlaggebend für eine optimale Wettkampfleistung sind aber nun ganz andere Konstellationen im Stoffwechsel.

Dieser anaerobe Stoffwechselbereich kann jedoch nur dann vollständig und maximal wirken, wenn die Versorgung der Muskulatur gewährleistet ist. Einfach gesprochen: wenn die Benzinleitungen (Blutversorgung) zu den Motoren (Muskulatur) nicht ausreichend gelegt sind, ist die Leistung auf diese Weise schon stark begrenzt! Offenbar ist die Ausarbeitung eines guten Versorgungsnetzes demzufolge eine wesentliche Voraussetzung für die Schwimmleistung. Usain Bolt hingegen benötigt diese überragenden Eigenschaften nicht. Seine Leistung basiert auf den Pfeilern (Explosiv-)Kraft, Schnelligkeit und der optimalen neuromuskulären Ansteuerung.

2 Sprinter und doch verschieden: Usain Bolt und Nathan Adrian

Ein Sprint in der Leichtathletik hat folgerichtig mit einem Sprint im Schwimmsport recht wenig gemein. Auch wenn es einem Kurzstreckenschwimmer natürlich immer hilft, über den Tellerrand zu blicken und zu ergründen, wie man die maximale Geschwindigkeit herausbildet. Denn auch diese Fähigkeit gehört in das Gesamtkonzept eines Schwimmsprinters dazu! Um jedoch auf die Fragestellung dieses Artikels zurück zu kommen, steht nach wie vor die Frage im Raum: muss ich als Sprinter im Schwimmen tatsächlich auch höhere Umfänge realisieren?

… im zweiten Teil gehen wir auf sehr spezielle Trainingsmethoden ein. 

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Titelfoto: snap-pix.de