Wissenschaft

Studie: Höhere Schmerzschwelle = bessere Leistungen?

Welchen Einfluss hat die Schmerzempfindung auf die Leistung?

Oder ist es die Willenskraft, die den Unterschied macht?

Welchen Einfluss hat die Schmerzempfindung auf die sportliche Leistung? Kann ein Sportler, der eine höhere Schmerzschwelle hat, sowohl im Training wie auch im Wettkampf seine Leistungsfähigkeit zu einem höheren Grad ausnutzen?

In einem Beitrag „Wieviel Schmerz muss man ertragen können“ (>KLICK)  haben wir uns u.a. mit dieser Thematik beschäftigt, da der Schmerz eine wesentliche Komponente der Leistungserbringung darstellt. So weiß man, dass unsportliche Menschen ihre Leistungsfähigkeit nur bis ca. 60-65% ausreizen können, wohingegen Leistungssportler auf einen Wert von bis zu 92% kommen können. Die Entwicklung der Leistungsfähigkeit durch sportliches Training wird also schon im frühen Stadium durch die Schmerzempfindung beeinflusst. Schließlich findet Weiterentwicklung meist in den Momenten statt, wo es unangenehm wird. Anders gesprochen: wer nicht leiden kann, bricht auch früher ab!

Da taucht aber gleich noch eine andere Frage auf, die im Raum steht: ist es tatsächlich die Schmerzempfindung oder ist es die pure Willenskraft? Steht die Willenskraft über dem Schmerzempfinden? Womöglich eine sehr individuelle Frage, die von den unterschiedlichsten Motiven beeinflusst wird.

Das Thema Belastungsschwelle spielt auch in Tipp #19 eine zentrale Rolle. Und hierbei betrachten wir auch die Situation, wenn dem Sportler falsche Informationen über den aktuellen Belastungsgrad zugespielt werden. Es könnte passieren, dass man sich in solchen Momenten neu „kalibriert“. Ein sehr interessantes Themenfeld.

Bevor wir in die Studie blicken, spielen wir hier das Video ein. Mit einem Klick auf das Motiv startet der Clip.

Blicken wir nun in eine Studie, die weiteren Aufschluss zum Thema geben kann.

Titel der Studie

Pain sensitivity and athletic performance

Autoren: Zeller, L., Shimoni, N., Vodonos, A., Sagy, I., Barski, L. & Buskila, D.

Erschienen: The Journal of Sports Medicine and Physical Fitness, 59 (10), 1635-1639. 2019

Inhalt und Ziel

Ziel der Studie ist es festzustellen, ob höhere Schmerzschwellen mit einer besseren Leistung bei Langstreckenläufern verbunden sind.

Methodik und Ergebnisse

70 Teilnehmer, aufgeteilt in Gruppen von schnellen und weniger schnellen Läufern, nach individuellen Spitzenergebnissen in einem 10 km langen Lauf. Sie wurden aufgefordert, ein Eisbad zu nehmen bzw. eine möglichst lange Verweildauer zu realisieren.

Von den 70 Teilnehmern waren

28 in der schnellsten Gruppe (weniger als 39 Minuten bei einem 10 km langen Lauf) und

42 in der nicht schnellen Gruppe.

Die schnellere Gruppe wurde mit einem höheren Alter (34,0 ± 8,5 vs. 29,5 ± 5,7, P = 0,01), einer höheren mittleren wöchentlichen Laufzeit (5,5 [0-17]) vs. 2 [0-10], P <0,001) charakterisiert.

In einer multivariablen Analyse war eine längere Aufenthaltszeit im Eisbad mit einem schnelleren 10-km-Lauf verbunden (OR 1,01, 95% CI 1,00-1,01).

Schlussfolgerung der Autoren

Es scheint, dass höhere Schmerzschwellen eine wichtige Rolle für die überlegenen Fähigkeiten von Langstreckenläufern spielen.

Zusatzstudie

In einer ähnlichen Studie wurden zwei Gruppen einem Eisbad-Test unterzogen. Eine Gruppe von Gelegenheitssportlern (GS) und eine Gruppe von Leistungssportlern (LS), sollte 3 Minuten in einem Eisbad verweilen und danach auf einer Skala von 1-10 den Grad des Schmerzempfindens bewerten. Das Ergebnis bestätigt die o.g. Studie. Die GS-Gruppe brach nach im Schnitt nach 96 Sekunden ab und bewertete den Schmerz mit durchgehend 10 Punkten, während die LS-Gruppe komplett die 3 Minuten aushielt und den Schmerz mit durchschnittlich 6 von 10 Punkten bewertete.

Ist es das Schmerzempfinden oder die Willenskraft?

Unsere Meinung

Der Stellenwert dieses Themas ist hoch zu bewerten. Schließlich beginnt im Training der Entwicklungsprozess. Und dort, wo der eine Sportler noch Reserven mobilisieren kann, sind andere schon an der individuellen Schwelle angekommen, an der sie die Belastung abbrechen. Die Frage, inwieweit diese Fähigkeit angeboren oder angelernt ist, ist sicherlich schwer zu beantworten. Dennoch sollte sich im Training immer die Frage stellen: geht da noch mehr? Wahrscheinlich sind die Besten der Welt auch diejenigen, die den Belastungsschmerz (also wohlgemerkt den Schmerz, der keine Verletzungen auslöst!) erst sehr spät als so unangenehm empfinden, dass eine Belastung abgebrochen bzw. reduziert wird. Auf jeden Fall eine interessante Fragestellung für Sportler jeder Alters- und Leistungsklasse und sicherlich ebenfalls eine echte Leistungsreserve.

Trainingsplan für die Steuerung der Schmerzschwelle

Im Trainingsplan 109 (>KLICK) gehen wir direkt auf dieses Thema ein und geben Beispiele, die die individuellen Möglichkeiten verdeutlichen und aufzeigen. Viel Spaß mit dem Video!

von Holger Lüning