Training & Wettkampf

So schnell und oft ziehen die Schwimm-Olympiasieger

Die Suche nach der individuell optimalen Zugfrequenz

Wie machen das die Profis und was kann man daraus lernen? Teil 2/2

Dies ist die Fortsetzung von Teil 1 (>KLICK), in dem wir z.B. über das Modell des Index-of-Coordination (IdC) berichten. Er macht deutlich, wo die Grenzen des Gleitens liegen und weshalb eine gleichmäßige Tempokurve das oberste Ziel für schnelles Schwimmen darstellt.

Der Wissenschaftler Didier Chollet hat dieses Phänomen der Vortriebspause im Jahr 2003 mit dem Index of Coordination (IdC) beschrieben. So kann man beispielsweise dem Kraul-Abschlagschwimmen aufgrund der langen Zugpause einen negativen IdC zuteilen, während im Sportschwimmen ein neutraler Index anzustreben ist.

Kraft erzeugt den nötigen Gegendruck

Es wird deutlich, von wie vielen individuellen Parametern die optimale Zugfrequenz abhängig ist. Und es kommen noch einige hinzu. So spielt die Kraftleistung eines Sportlers eine wichtige Rolle, um die ideale Bewegungsgeschwindigkeit zu bestimmen. Denn je stärker der Impuls auf das Wasser ist, umso mehr Widerstand wird erzeugt. Ein Prinzip, das Sie in der Unterwasserphase für sich nutzen können. Je schneller Sie gegen das Wasser drücken, umso höher wird auch hier der Widerstand, also der Gegendruck des Wassers. Gefühlt erhärtet sich das Wasser und der dynamische Abdruck gewinnt an Wirkung! Ein kurzer kraftvoller Druck gegen das Wasser ermöglicht schnelles Schwimmen.

Kraft ist demzufolge eine wesentliche Eigenschaft für leistungsorientiertes Schwimmen. Da jeder Mensch schon rein genetisch über eine mehr oder weniger festgelegte Aufteilung an schnell und langsam zuckenden Muskelfasern verfügt, sind auch die Voraussetzungen für schnelles Schwimmen völlig unterschiedlich. Möchten zwei Schwimmer mit unterschiedlichem Muskelfaserpool ein und dieselbe Zeit erzielen, so gibt es zwei grundsätzlich verschiedene Wege, die sie einschlagen müssten.

Schnelles Schwimmen = Zugzahl x Zuglänge

Der kraftvolle Schwimmer wird mit einem sehr hohen Impuls pro Unterwasserzug deutlich mehr Vortrieb erzeugen. Der Sportler mit tendenziell eher langsam zuckenden Fasern wird hingegen denselben Kraftimpuls nicht aufbringen können. Er müsste, um dieselbe Leistung zu erzeugen, eine größere Menge an Impulsen erbringen, um zeitgleich anzuschlagen. Ein Beispiel haben Florian Wellbrock und Gregorio Paltrinieri 2018 im EM-Finale über 1.500 Meter Freistil geboten. Der 192 Zentimeter große Deutsche schwamm mit ca. 900 Zügen, der 1.91 Meter große italienische Olympiasieger hingegen benötigte nahezu 1.200 einzelne Kraulzüge. Zwei völlig unterschiedliche Zugänge bei nahezu identischer Endzeit – klick hier zum ausführlichen Artikel und Vergleich der beiden Sportler!

Man darf annehmen, dass Wellbrock dem Italiener in Bezug auf die Maximalkraftwerte überlegen sein dürfte. Paltrinieri hingegen hat diesen scheinbaren Nachteil über eine höhere Anzahl an Impulsen und damit eine höhere Herz-Kreislauf-Leistung kompensiert. So entstehen zwei gleichwertige Leistungen, jedoch mit sehr unterschiedlichem technischen Zugang.

Sehen Sie diesen Zusammenhang auch in der Tabelle unten? So liegen die Frequenzwerte bei den Frauen fast durchgehend höher als bei den Männern. So unterschiedlich kann Schwimmen also sein, wenn man in die Details blickt. Und diese Details spielen sich nicht nur in der Weltklasse ab. Sie beginnen zu wirken, wenn Sie das erste Mal versuchen, schneller als je zuvor schwimmen zu wollen. Also im Prinzip von Beginn an.

Die Frequenzwerte (Zyklen/Minute) der Olympiasieger von Rio de Janeiro 2016

Männer/Frauen

50m Freistil                                  62/60

100m Freistil                                52/50

200m Freistil                                43/52

400m Freistil                                37/45

1500m/800m Freistil                 43/46

100m Brust                                    59/53

200m Brust                                    40/40

100m Rücken                                50/52

200m Rücken                                41/44

100m Schmetterling                     52/53

200m Schmetterling                    50/52

Wie immer gilt bei diesen Statistiken, dass Ausnahmen die Regel bestätigen, wie das angeführte Beispiel über 1.500-Meter-Freistil deutlich aufzeigt. Herausragende Einzelsportler wie Adam Peaty über 100 Meter Brust sind nicht selten mit ganz eigenen und sehr individuellen Strategien im Rennen unterwegs.

Was sagt der Affen-Index aus?

Natürlich hängt die Frequenz noch von zahlreichen weiteren individuellen Faktoren, wie beispielsweise der Körpergröße oder auch dem Hebelverhältnis von Spannweite zu Körpergröße (dem sogenannten Ape-Index) ab. Messen Sie doch einmal Ihren Ape-Index. Im Idealfall liegt er über dem Verhältnis 1:1 zugunsten der Spannweite. Liegen Sie, wie Michael Phelps bei Spannweite 203 zu Körpergröße 191 Zentimeter und einem Index-Wert von 1,06, haben Sie beste Voraussetzungen für überdurchschnittliche Schwimmleistungen.

Die Suche nach der optimalen Frequenz

Möchten Sie nun Optimierungen vornehmen, so sollten Sie zunächst so viele Daten gewinnen wie nur möglich. Haben Sie die Möglichkeit, völlig unterschiedliche Frequenztaktiken unter den Augen eines Trainers oder Trainingskameraden messen zu lassen, haben Sie schon sehr gute Voraussetzungen, um sich Stück für Stück der optimalen, individuellen Frequenz zu nähern. Versuchen Sie bei allen Tests, die Sie durchführen auch die Leistungsparameter der erzielten Zeit und der sich ergebenen Herzfrequenz zu dokumentieren. Sie erlauben, im Abgleich mit den Frequenzwerten, eine sukzessive Annäherung an Ihr persönliches Optimum.

Der Praxis-Test

Schwimmen Sie im Training zunächst einmal möglichst gleichmäßige Intervallserien im Vergleich. Das kann eine klassische Serie sein wie 6×50 Meter mit einer Pausenlänge von 30 Sekunden, in der Sie auch die Herzfrequenz bequem bestimmen können. Lassen Sie dabei ab der Bahnmitte die Bewegungsfrequenz messen.

3x (6×50 Meter gleichmäßig, Pause: 300 Meter locker schwimmen als aktive Pause)

Tempo pro Durchgang steigern!

Schwimmen Sie diese Serie in sich gleichmäßig und in der Summe drei Mal, jede Serie schneller als die Serie zuvor. Schwimmen Sie zwischen den drei Sätzen mindestens 300 Meter sehr locker als aktive Pause. Tragen Sie die Daten in ein Diagramm ein und schon haben Sie ganz wichtige Ausgangs- und Vergleichsdaten für sich gewonnen.

Frequenzen im Training und Wettkampf sind oft unterschiedlich

Im nächsten Schritt geht es an die schrittweise Annäherung an die beste Wettkampffrequenz. Hierzu sollten Sie in ausgeruhtem Zustand in einen Wettkampftest gehen. Ideal wäre hierzu ein Wettkampf unter Bestimmung der Zugfrequenz zu den unterschiedlichsten Rennmomenten (Anfang, Mitte und Ende), um Schwankungen zu erkennen. Womöglich sehen Sie schon hier, wie die Frequenz am Ende tendenziell fällt, da Sie die spezifische Kraft für einen druckvollen Impuls nicht mehr aufbringen können. Wichtige Erfahrungswerte für die Planung Ihres Trainings!

Steht Ihnen der Wettkampf nicht zur Verfügung, absolvieren Sie einen wettkampfspezifischen Test im Training. Voraussetzung für das Gelingen dieser Aufgabe ist es, ausgeruht in diese Einheit zu gehen. Nun können Sie einerseits Ihre Wettkampfstrecke am Stück schwimmen oder sie als sogenanntes „gebrochenes Schwimmen“ simulieren. Letzteres eignet sich hervorragend, um möglicherweise sogar zwei Durchgänge in einer Übungseinheit zu platzieren und dabei verschiedene Frequenz-Taktiken anzuwenden.

Härtetest im Training gibt wichtige Informationen

Ein etablierter Standardtest ist das Schwimmen über 4×50 Meter (Pause: 10 Sekunden) in der Hauptwettkampflage, unterbrochen von einer kurzen, nur 10-sekündigen Pause. Diese unvollständige Pause erzwingt einerseits eine Simulation der Stoffwechselvorgänge, wie sie auch im Wettkampf entstehen. Gleichzeitig erlaubt die kurze Pause aber auch, das Tempo annähernd auf oder sogar über dem Wettkampftempo zu halten. Addieren Sie neben den bekannten Werten auch die Einzelzeiten zu einer virtuellen 200-Meter-Zeit, um die Versuche miteinander vergleichbar zu machen. Ein unschätzbar wertvoller Fundus an individuellen Daten ergibt sich aus dieser Testreihe! Daten, die es Ihnen endlich ermöglichen, Ihre individuellen Möglichkeiten voll zur Geltung zu bringen.

von Holger Lüning