Wissenschaft

Studie: Erkennung von Talenten für das Sprintschwimmen

In welchem Alter zeigen sich die besten Leistungen?

Sogenannte Früherfolgsschwimmer sind nicht die besten Erwachsenenschwimmer

In der Talentsichtung entsteht immer wieder eine ganz entscheidende Fragestellung: in welchem Alter erkennt man die Fähigkeit und die Eignung für spätere Spitzenleistungen? Wird die Auswahl zu früh getroffen, entstehen womöglich herausragende Jugendleistungen, doch eine Stagnation im Erwachsenenbereich. Sortiert man Sportler jedoch zu früh aus – d.h. sieht keinen späteren Erfolg in den aktuellen Bemühungen – könnten Spätentwickler übersehen werden. Ein schwieriges Unterfangen!

Zu den Übergangsraten haben wir bereits eine Studie (> Klick hier) zusammengefasst. Sie dokumentiert aber vor allem die Retrospektive, also den Blick zurück. In der Sichtung wäre der Blick nach vorne, also die Potenzialerkennung das wichtigste Merkmal, um das beste Ergebnis zu erzielen.

Neben anatomischen Merkmalen (> Klick hier zum Artikel „Made for swimming“) sind es auch leistungsphysiologische Parameter, die eine Eignung messbar machen. Fest steht aber auch, dass eine zu frühe Beurteilung auch nicht zielführend sein muss.

Spitzensportler sind heute älter als vor 30 Jahren

So erleben wir seit Jahren und wenigen Jahrzehnten, dass Schwimmer und Schwimmerinnen im Hochleistungsbereich ihre Leistung immer länger konservieren, z.T. sogar steigern, können. So war man als 25-jähriger Schwimmer in den 80er- und 90er-Jahren ein „Urgestein“ kurz vor der sportlichen Rente, gewinnen heute Sportler mit über 30 Jahren noch Titel auf der internationalen Ebene.

Der Weltmeister 2023 über die 50m-Freistil-Distanz, Cam McEvoy ist dafür ein beeindruckendes Beispiel. Schneller als je zuvor, nachdem er seine eigentliche Stärke und das für deren Entwicklung notwendige Training erkannte. Hier geht es zu dem Artikel und einem Video > KLICK HIER. Für Trainer wie für Athleten (aller Altersklassen) lesens- und sehenswert, da es zeigt, welche Möglichkeiten entstehen können, wenn man es wagt, Distanz zum Problem zu erzeugen, um danach gestärkt aus diesem Prozess hervorzugehen.

Soziale Absicherung ein Leistungsfaktor?

Diese Erkenntnis führt dazu, noch mehr über die Entwicklungschancen nachzudenken und vielleicht noch ganz andere Faktoren in die frühe Beurteilung (psychische Stabilität, Motivation usw.) einzubeziehen. So scheint insbesondere das Umfeld die Leistungsentwicklung in höherem (Sport-)Alter zu ermöglichen. Ganz sicher spielt aber auch die soziale Absicherung (z.B. Angebote einer dualen Karriere) eine bedeutende Rolle ab einem gewissen Alter.

Zudem, und das wird in der Studie deutlich, gilt es, Problemlösungen in einer Phase der Leistungsstagnation anzubieten. Hier sind Trainer, Verbände, Vereine, Familie und andere womöglich die entscheidende Konstante für die Bewältigung von großen und kleinen persönlichen Krisen.

Zum Themenbereich der frühen Spezialisierung habe ich auf meiner Blog-Seite eine Studie analysiert > KLICK HIER.

Viele interessante Fragestellungen! Da passt die folgende Studie gut hinein.

Titel der Studie

Don`t throw the baby out with the bathwater: talent in swimming sprinting events might be hidden at early age

Autoren: Brustio, P. R., Cardinale, M., Lupo, C. & Boccia, G. (2022)

Erschienen in: International Journal of Sports Physiology and Performance, 17 (11), 1550-1557.

Zweck der Studie

Diese Studie zielte darauf ab, den Karriereleistungsfortschritt von internationalen Elite-Schwimmern mit frühem und späterem Erfolg zu beschreiben, die an Sprintveranstaltungen (d.h. 50m und 100 m) teilnehmen.

Methoden

Die Karriere-Leistungsverläufe von 6003 Schwimmern (50,9 % Frauen; 58.760 individuelle Rekorde), die in den 4 Schwimmstilen teilnahmen, wurden ausgewertet. Schwimmer mit frühem und späterem Erfolg wurden identifiziert.

Die Autoren identifizierten die 50 besten Schwimmer aller Zeiten, die in der Juniorenkarriere an Wettkämpfen teilnahmen, die in ihrer Seniorenkarriere nicht die Top-50-Platzierungen erreichten und umgekehrt, und erfolgreiche Schwimmer sowohl in der Junioren- als auch in der Seniorenkarriere.

Ergebnisse

Früherfolgsschwimmer erreichten ihre Höchstleistung hauptsächlich vor dem 20. Lebensjahr und etwa 5-6 Jahre vor erfolgreichen Seniorenschwimmern oder etwa 3-4 Jahre vor erfolgreichen Schwimmern sowohl in der Junioren- als auch in der Seniorenlaufbahn.

Die jährlichen Leistungssteigerungen später erfolgreicher Schwimmer waren bis zum Alter von 20 bis 24 Jahren höher (ca. 1%-2%), während frühe erfolgreiche Schwimmer eine Leistungsstagnation bei etwa 16 bis 18 Jahren bei Frauen und 19 bis 20 Jahren bei Männern zeigten.

Schlussfolgerungen

Früherfolgsschwimmer, die in jungen Jahren Spitzenleistungen erbrachten, waren nicht in der Lage, das gleiche Niveau an Wettbewerbsfähigkeit im Erwachsenenalter aufrechtzuerhalten, da sie ab dem Alter von 20 Jahren ein Leistungsplateau erlebten.

Das Verfahren, frühe Leistungen ausschließlich zur Identifizierung von Talenten zu berücksichtigen (und nicht die aktuelle Fortschrittsrate), könnte einen begrenzten Ansatz für die Auswahl zukünftiger Eliteschwimmer darstellen. Unsere Ergebnisse weisen darauf hin, dass die Leistungssteigerung beim Übergang in die Erwachsenenkarriere ein starker Indikator für das Leistungspotenzial sein könnte.